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Die Wunderwelt der Tonsprache
Gedanken zur Musik von Rudolf Schädler
von Adolf Marxer, Lehrer
Am 24. Juli 1986, abends halb zehn Uhr
strahlte der Österreichische Rundfunk
eine Sendung aus, in der Musik des liech-
tensteinischen Künstlers Rudolf Schädler
vorgestellt und seine Person in groben
Zügen porträtiert wurde.
Dass kompetente Fachkräfte im Rundfunk
sich für seine Musik interessieren,
beweist, dass Aussergewöhnliches in ihr
steckt. So erging die Einladung an ent-
sprechende Musiker, Kostproben aus dem
Schaffen von Rudolf Schädler einzustu-
dieren und im Funkhaus auf Band zu
bringen. Den anspruchsvollen Vokalpart
übernahm dann die Sopranistin Cornelia
Rheinberger-Büchel. Sie sang die Lieder
«Spiel der Fliegen», «Fremder Vogel»,
«Nachtblau» u. a. nach Texten von Grete
Gulbransson. Ihr aufmerksamer und ein-
fühlsamer Begleiter auf dem Klavier war
Dr. Istvan Korody. Das Kammerorchester
von Vorarlberg unter der Stabführung von
Prof. Gilbert Klien machte sich mit viel
Akribie an das sinfonische Werk «Musik
für Orchester».
Jene Musikliebhaber, die sich den Termin
vorgemerkt und mit Aufmerksamkeit die
Musik mitverfolgt haben, erlebten eine
Wunderwelt der Tonsprache. Zufallshörer,
die sich schläfrig hinlegten, um sich mit
Musik in den Feierabend einzulullen, hät-
ten besser getan, beim Apparat den
Stromkreis zu unterbrechen, denn passi-
ves Mitanhören verträgt diese Musik
nicht.
Wer ein tieferes Verständnis in die Musik
Rudolf Schädlers bekommen will, tut gut
daran, den Gegenpart seines künstleri-
schen Schaffens, nämlich jene Objekte
der bildnerischen Gestaltung ins Auge zu
fassen. Was seine Baumplastiken zeigen,
sind nicht geradlinige, geschliffene Kontu-
ren mit klaren, abgegrenzten Kanten, wie
sie die heutige, technische Welt verstehen
würde. Metermass und Winkel sind hier
nicht anwendbar. Es herrschen andere
Gesetzmässigkeiten; der Zufall, das
Schicksal, das von einem ereignisreichen
Leben gerückte und gedrückte Bild. Seine
Arbeiten sind bizarr, knorrig, eigenwillig
und lassen sich nicht einer Norm unter-
stellen. Es haften ihnen viele Geheim-
nisse an.
Seine Musik hat ähnliche Eigenschaften.
Es gibt keine langgedehnten Akkord-
folgen, keine voraussehbaren und ange-
kündigten Wendungen. Die Klangstruk-
turen bleiben offen. Nirgends ist die
Musik dick, schwulstig, überladen, nir-
gends Ballast. Man hört keinen flächigen
Sound, kein Meeresrauschen, kein dich-
tes, sattes Gefüge.
Eher glaubt man, in die Berge entrückt zu
werden, wo Bergdohlen in zerklüfteten
Felsen kreisen, geheimnisvoll. Wo der
Wind an verwitterten Bäumen reisst,
dreht, drillt an rindenlosen, knorrigen
Asten, die Zeiten überdauernd. Man
horcht auf ungewöhnlich geführte Einzel-
stimmen und wird von Klängen erfasst,
die seltsam und oft herb anmuten.
Rudolf Schädlers Musik ist nicht jeder-
manns Sache. Es braucht auch von den
Musikausübenden viel Engagement, über
die technischen Stolpersteine des Noten-
bildes hinweg zur richtigen Interpretation
vorzudringen und die tiefere Essenz zu
ergründen.
Sopranistin, Pianist und Orchester haben
sehr viel aus dieser aussergewöhnlichen
Musik gemacht. Ihnen ist zu gratulieren,
und unserem Künstler Rudolf Schädler ist
herzlichen Dank zu sagen, dass er uns
und unserer Zeit diese interessante Musik
geschenkt hat.
Liechtensteiner Volksblatt, 2. August 1986