Liederabend mit Rheinberger und Schädler
Die Schweizer Kurt Widmer und Jörg Eichenberger als
nterpreten
Es war ein Ereignis, das ins aktuelle
Musikgeschehen Liechtensteins eingehen
wird: der Liederabend mit der hervorra-
genden, weltbekannten Theorielehrer-
und Komponistenpersönlichkeit Joseph
Gabriel von Rheinberger aus dem 19. Jh.
(gest. 1901) und seinem Landsmann
Rudolf Schädler, der in unseren Jahrzehn-
;‚en auch als Holzskulpteur die regionale
Kunstszene mitprägt und sich mit Werken
verschiedener Besetzungsart als höchst
ıchtenswerter Musikschöpfer ausweist.
Bedauerlich einzig, wie Intendant
Dr. Alois Büchel im Grusswort zu diesem
denkwürdigen Liechtenstein-Abend
bemerkte, dass das garstige Winterwetter
viele vom Besuch dieser modellhaften
Präsentation liechtensteinischen Kultur-
schaffens im TaK abzuhalten schien.
Denn das Programm des Liederabends
war ident mit jenem einer jüngsten
Schallplatteneinspielung im Tonstudio vor
Radio Basel. Die Schweizer Kurt Widmer
und Jörg Eichenberger dürfen nach die-
sem Konzert als geradezu kongeniale
i{nterpreten beider Liechtensteiner Kom-
vonisten gelten. Die ab Jänner im TaK
zrhältliche Platte mag dies jenen bestäti-
gen, welche die Live-Präsentation verab-
säumt haben.
Der in den Konzertsälen aller Welt
geschätzte Bariton Kurt Widmer war
sowohl den romantischen Liedern Rhein-
sergers als jenen Schädlers, die einer aus
verpflichtendem Erbe herausgewachsenen
neueren Tonsprache eher neoromanti-
scher Stilprägung zuzuordnen sind, ein
zrossartiger Gestalter. In Widmer verei-
nen sich Natürlichkeit und feiner Kunst-
sinn auf ideale Weise. Über allem techni-
schen Können beeindruckte das seltene
Einfühlungsvermögen in jedes der Lieder
von unterschiedlichem dichterischem Vor-
wurf und entsprechend eigenartigem
musikalischem Stimmungsgehalt und
strukturellem Aufbau. So gelang Widmer
in einer breiten Palette des Ausdrucks
eine jeweils recht differenzierte Textdeu-
tung. Dabei kostete er die strahlenden
Melodienbögen mit dem weichen
Schmelz seines Organs vollends aus, gab
in verhauchenden Pianissimi der Gefühls-
innigkeit ebenso Gestalt wie in Forte-Stei-
gerungen höchster Beglückung oder tief-
sten Leides. Dass Empfindung alles ist,
wenn man über das handwerkliche Rüst-
zeug verfügt, machte auch Jörg Eichen-
berger bewusst, der sich am Klavier als
'einnerviger Mitgestalter profilierte.
{immer mit Noblesse und Dezenz zeich-
1ete er den gekonnten Klaviersatz beider
Komponisten in nachschöpferischem Voll-
zug bis in subtile Transparenz.
Das Programm brachte meist einzelne
Lieder in abwechselnden Dreierblöcken
beider Komponisten. Über Rheinbergers
romantische Lieder eine Strukturanalyse
machen zu wollen, hiesse wohl Eulen
nach Athen tragen. In jedem Opus offen-
bart sich der Meister der musikalischen
Architektur, der auch die Form des kla-
vierbegleiteten Sololiedes mit melodischer
Schönheit und innigem Gehalt zu durch-
dringen weiss.
Rudolf Schädlers Lieder sind bei aller
Traditionsverpflichtung in unserer Zeit
ınd in einem ureigenen Stilbereich etwa
1eoromantischer Orientierung angesiedelt.
Er schafft wie aus einem Kraftspeicher
ınverbildeten Naturempfindens. In weiser
Beschränkung auf Form und Ausdrucks-
mittel gelingen ihm jenseits forscher Neu-
‚önerei knapp und dicht gehaltene
"mpressionen. Sie zielen auf Intensität des
Ausdrucks, bleiben aber formbewusst und
:;onalitätsbezogen.
Gustav Bachmann im Liechtensteiner Volksblatt,
'0. Dezember 1980
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