Armut, Kriege und Notzeiten
nach Chur zog bis er vorbei war, Leider klaffen in unsern Archiven über
diese Zeiten grosse Lücken. Die Pfarrbücher werden in unserem Lande
erst seit dem 17. Jahrhundert (in Triesen seit 1638) geführt.
1362 wurde ın Levis bei Feldkirch ein eigenes Sıechenhaus einge-
richtet, wo seuchenkranke Personen untergebracht wurden. Eine
eigentliche Spitalpflege führten nur die Klöster.
Auch ın der Sarganser Nachbarschaft wütete in der zweiten
Hälfte des Mittelalters der schwarze Tod, das ist die Pest, grausam.
Infolge der Pest blieben zu Anfang des 14. Jahrhunderts weite Land-
strecken unbepflanzt, was Hungersnöte zur Folge hatte. Von 1348 mel-
det man, dass % der Bevölkerung in unserer Nachbarschaft an der Pest
starb.
Die von der Pest heimgesuchten Lande waren buchstäblich ent-
völkert. Man versuchte neue Einwanderer zu erhalten. In diese Zeit fällt
die Einwanderung der Walliser in unsere Gegenden und deren Ausbrei-
tung, die neben Rodungsarbeiten wohl vielfach ausgestorbene oder ver
'assene Höfe übernahmen.
1378 sagte der Herzog Leopold Graf Heinrich von Vaduz zu,
keine Leute des Grafen als Bürger zu Feldkirch anzunehmen. Man
kämpfte also um die Leute, so rar waren sıe. Leere Häuser und unbebau-
tes Land brachten keine Steuern, keine Lehenzinsen, für die Herrschaft
keine Einnahmen, und schwächten die Wehrhaftigkeit des Landesherrn.
Wer konnte, der floh in Pestzeiten. Der Bauer war vielfach nur
Pächter. Doch konnten Begüterte leichter fliehen. So zogen bei Aus-
bruch der Pest in Chur 1400 einige Domherren nach auswärts. Aus
Feldkirch floh sogar der Stadtarzt. Er war auch nicht verpflichtet, Pest-
zranke in sein Haus eintreten zu lassen.
Einem Berichte über das Verhalten der Bevölkerung bei drohen-
der Pestgefahr ın der sarganserländischen Nachbarschaft (Weisstannen-
tal) ist zu entnehmen: «Sobald in einer Ortschaft der erste Pestfall sich
zeigte, verbreitete sich die Schreckensbotschaft hievon blitzschnell im
zanzen Gebiete, und augenblicklich setzte eine fast allgemeine wilde
Flucht.ein. Wenn aber einer der Flüchtenden schon angesteckt war,
wurde durch diesen die Pest in seinen neuen Niederlassungsort ver-
schleppt. Die Flucht wurde ohne langes Zaudern beschlossen und
durchgeführt, denn der Flüchtende war nur Pächter des Grund und
Bodens und schätzte das Leben mehr als den Pachtboden, den er
anderswo wieder leicht ersetzen konnte. Musste man am neuen Ort eine
Quarantäne durchmachen, liess man einen doch nicht verhungern. Der
Möbeltransport verursachte keine Schwierigkeiten, da man damals ım
Bauernhause keine Bettstellen, Kleiderkasten, Sekretäre, Bücher-
schränke usw. kannte. Den Kochkessel, die zwei bis drei Pfannen, Holz-
eimer, Näpfe, die Kleider, den zusammengelegten Webstuhl, die wich-
tigsten Werkzeuge, einfach das, was zum Leben unbedingt notwendig
war, konnte die meistens grosse Familie auf einige Traglasten verteilen,
aufs «Räf» binden und auf. dem Rücken, die Haustiere vor sich treibend,
davon tragen. Die Leute waren kräftig und zäh. Übrigens hielten damals
Weisstannens Siedler auch viele Saumtiere, die den Wegzug erleichter-
cen. Vielleicht fand man bei einige Wegstunden weit entfernt wohnen-
den Verwandten oder Bekannten vorläufig Unterkunft und wenn’s auch
bloss ein Stall war. In Gebieten, in denen die Pest bereits erloschen war,
freuten sich die Grundherren, ihre menschenleer gewordenen Heim:
stätten wieder neuen Pächtern — damals sagte man «Lehensleuten»
übergeben zu können.»