Armut, Kriege und Notzeiten
Ein Stück Wahrheit steckt in der Sage, da Pfarrer von Kriss wirk-
lich Anteil am Ende der Prozesse hat, aber auf ganz andere Weise. Den
Anstoss dazu mag wohl der skrupellose grausame Landvogt Brügler
(Prügler) 1679 gegeben haben, der es so weit brachte, dass er Weib und
Kind hier liess und nach Chur floh, wo man ihm Unterschlupf gewährte
Die Untertanen erhoben sich gegen die Obrigkeit (JBL 1957, 5. 152 ff)
Das Gefühl der Rechtsunsicherheit wächst mit der Dauer und der über-
stürzten formlosen Art der Prozessführung. Noch ist der Weg nicht klar,
der beschritten werden muss, um Abhilfe zu schaffen. Im Jahre 1679
wird ein erster Versuch gemacht: «Der Clerus und die gesamte Landschafi
mit Beistand der Feldkircher Beamten und Stadtdeputierten» wenden sich
an den Grafen und ersuchen um Übersendung der Prozessakten an eine
Universität, damit durch ein Rechtsgutachten die Führung der Prozesse
überprüft werde. Der Weg war falsch, denn gerade der Graf hatte kein
Interesse an einer solchen Überprüfung oder gar am Verbot der Pro-
zesse. Er lässt sich zu einer solchen Untersuchung nicht herbei und be-
gründet seine Weigerung damit, dass eine Ungültigkeitserklärung der
Prozesse sein Ansehen gröblichst verletzen würde und er dann zudem
die konfiszierten Güter zurückgeben müsse. Einen klareren Beweis für
das Schuldgefühl des regierenden Grafen gibt es nicht als diese Einstel
lung zu Recht und Gerechtigkeit.
Einen überraschenden Erfolg hat dieser erste Vorstoss aber doch:
Als Landvogt Brügler fürchten muss, dass die unter ihm geführten Pro-
zesse überprüft werden, flüchtet er bei Nacht und Nebel unter Hinter-
lassung von Weib und Kindern aus dem Lande und begibt sich auf die
«Freiung nach Chur», wo er durch Asylrecht geschützt und dem Arm
der Gerechtigkeit nicht erreichbar war. Er hat sich «heimlicherweis aus
dem Land praktiziert», wie es im Bericht aus Feldkirch heisst. Nach dem
August 1679 finden wir seinen Namen nicht mehr ın den Protokollen
der Verhörstage, die im Landesarchiv in Vaduz liegen. Ein schmählicher
Abgang des obersten Beamten, getrieben, verjagt vom eigenen Schuld-
bewusstsein! |
Wir werden sehen, dass der Nachfolger nicht besser ist, die Pro-
zesse laufen mit gleicher unerhörter Ungerechtigkeit weiter, die Unter-
tanen sind weiter ihres Lebens nicht sicher. .
Da ergreift Pfarrer Valentin von Kriss die Initiative —es ist also
doch ein Korn Wahrheit in der Sage, die dem Pfarrer die entscheidende
Rolle beim Ende der Hexenprozesse zuschreibt, nur ist der Weg ein
ganz anderer, Am 17. Dezember 1680 wendet er sich in einer eingehen-
den Eingabe an die oberöstereichische Regierung in Innsbruck als die für
die Vorlande zuständige Behörde und legt die Ungerechtigkeiten dar,
welche die Untertanen in den Hexenprozessen erleiden müssen.
Im Hofregistraturprotokoll 1 vom Jahre 1681 (Innsbrucker Lan-
desregierungsarchiv) finden wir am 8. Januar die Eintragung: «Valentin
Griss, Parochus zu Triesen, beklagt sich, dass in der Herrschaft Vaduz in
Criminalprozessen alles mit grösstem Nachteil der Untertanen nachlässige
Justizia administriert werde und bittet derentwegen, endlich ein Einsehen
zu tun.» Das Protokoll enthält dann einen Auftrag an die oberösterrei-
chische Regierung, sie möge Informationen einholen und ein Gutachten
erstatten, was weiter zu tun wäre. Aber Pfarrer Kriss 1st nicht allein:
Gleichzeitig wenden sich fünf Untertanen, die aus der Grafschaft Vaduz
geflüchtet waren, weil sie schon wegen Hexereı ın Untersuchung stan-
den und Verhaftung, Gefängnis, Folter und Tod fürchten mussten, um