Armut, Kriege und Notzeiten
Auf den 14. Mai 1799 war der zweite Versuch eines Angriffes
gegen die Luziensteig, die als das «schweizerische Gibraltar» für äus-
serst wichtig gehalten wurde, festgesetzt, und diesmal gelang den Öster-
reichern das Unternehmen vollkommen. Massena hatte wenige Tage
vorher die Festung selbst besichtigt, die Besatzung verstärkt und alle
Anordnungen zu einer energischen Verteidigung getroffen.
Die Festung wurde diesmal nur von Balzers, von der Maienfelder
Alpe, von der Seewiser Alpe und vom inneren Prättigau aus angegriffen.
Bei diesen vier Abteilungen waren neben dem regulären Milıtär auch
Kompanien von Landesschützen aus Vorarlberg. Noch jetzt lag tiefer
Schnee auf den Alpen, und ein beissender Wind strich durch die Höhen.
Dennoch hatte mıt Anbruch des Tages (14. Mai) jede Abteilung ihr Ziel
erreicht. Am Rhein bei Trübbach hatte Hotze Batterien von Zwölfpfün-
dern errichtet, um die Strasse von Werdenberg nach Ragaz zu sperren,
und das Mälsnerholz und das Gelände vor der Festung besetzt. Von der
Maienfelder Alpe stiegen die Kaiserlichen mit den Feldkircher und Blu-
denzer Schützen durch das «Kleck» herab, um die Festung im Rücken
anzugreifen. Sie besetzten Maienfeld, Jenins und Malans, von wo die
Franzosen sich eilig zurückzogen. Dann erstürmten sıe die Schanzen.
Drei Kompanien und die Vorarlberger Scharfschützen drangen gegen
den Turm vor; die Hauptmacht stürmte auf das feindliche Lager los, und
eine dritte Abteilung griff vom Mälserholz her auf der westlichen Seite
die Vorderschanze und die dort aufgestellte Kavallerie an. Zwar richte-
ten die Franzosen alle ihre Kanonen auf diese Abteilungen und feuerten
mit Kartätschen; aber der Angriff war so heftig, dass die Besatzung bald
das Gewehr strecken musste. Sechs Kanonen, zwei Haubitzen, neun
Munitionskarren und anderes wurden erobert; der Kommandant, viele
Offiziere und 1000 Mann wurden gefangen genommen. Unterdessen
hatten die Österreicher den Feind auch aus dem Prättigau vertrieben.
Eine Abteilung Dragoner mit Vorarlberger Schützen verfolgten einen
Haufen zersprengter Franzosen gegen Fläsch zu, so dass deren viele im
Rhein ertranken; auch zogen sie drei vom fliehenden Feind im Strom
zurückgelassene Kanonen trotz des dichten Kugelregens aus dem tiefen
Wasser. Die Franzosen wichen gegen Walenstadt zurück, nachdem sie
1000 Tote und Verwundete und 300 Gefangene, 13 Kanonen und 22
Munitionskarren verloren hatten. Die Vorarlberger Landesverteidiger
kehrten triumphierend heim. Major Bey vertrieb dann die Franzosen
auch aus Azmoos, erbeutete fünf Kanonen und deckte den Bau einer
Brücke, die bei Balzers über den Rhein geschlagen wurde.
Am 11. Oktober marschierte eine Abteilung Russen mit 1100
gefangenen Franzosen (darunter General Lacour und 14 Offiziere) von
Bünden her nach Feldkirch. General Suwarow hatte sie bei Schwyz
geschlagen und gefangen genommen. Aber schon am 12. Oktober kam
das russische Heer selbst nach, nachdem es unter schrecklichen Leiden
und Verlusten die Gebirge von Uri, Schwyz, Glarus und Bünden über-
stiegen hatte. Helbert erzählt: «Einen unbeschreiblichen Hunger brachten
die Russen aus der Schweiz; sie fielen über alles her, assen unreıife Trauben,
Türken, und Obst. Auf der Landstrasse ging es schrecklich her; Schuhe und
Kleider nahmen sie den Leuten vom Leibe ab. Mit Kriegsfuhren und Mili-
tärleistung hatten wir es seit dem Mai sehr strenge. Auch kam eine Forde-
rung von 7000 fl. zu einem Festungsbau im Reich. Die Kaiserlichen haben
wir im Quartier und man macht wieder Schanzen und Laufgräben.»
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