Volltext: Geschichte der Gemeinde Triesen

Anhang 
dass die Selbsthilfe nur dann zulässig sein sollte, 
wenn eine Gutmachung erlittenen Unrechtes oder 
eingetretenen Schadens auf dem ordentlichen 
Gerichtswege nicht zu erlangen war. Doch trägt ein 
so gefährlich Ding wie die Überantwortung der 
Vollstreckung eines Anspruches an den Geschädig- 
ten selbst die Tendenz zur extensiven Interpretie- 
rung in sich, so dass wir uns nicht wundern werden, 
wenn wir sehen, dass jene vorsorglich aufgerichteten 
Dämme immer mehr überspült wurden. Diese Ent- 
wicklung zum Schlimmen begann während des In- 
terregnums, der «kaiserlosen, der schrecklichen 
Zeit» (1254-1273), in der beim Fehlen einer starken 
Staatsgewalt die Willkür wild ins Kraut schiessen 
konnte, so dass bald nicht mehr zu unterscheiden 
war, wo der legitime Anspruch aufhörte und nackte 
Gewalttat begann. Von vorheriger Beschreitung des 
Rechtsweges war nicht mehr die Rede, auch von 
ordnungsmässiger Ankündigung der Fehde nicht. 
Das Gefährlichste an der ganzen Situation war aber 
vielleicht — in moralischer Hinsicht —, dass auch 
hinter dem, was tatsächlich nichts anderes war als 
Strassenraub, immer noch die manchmal vielleicht 
heuchlerische, in der Regel aber wohl naivbiedere 
Meinung lebendig blieb, im Vollzug eines Standes- 
Privilegs zu handeln. Denn Unrecht tun, ohne sich 
des Makels bewusst zu sein, der daran haftet, ja 
dieses Tun noch im Lichte eines ritterlichen Glanzes 
zu sehen, das gehört wohl zum Bedenklichsten, was 
sich im Rechtsleben ereignen kann. 
Mehr als theoretische Erörterungen sagt vielleicht 
ein bestimmtes Beispiel, das um so lehrreicher sein 
dürfte, als hier nicht etwa irgendein verkommener 
Strauchritter, sondern die angesehenen und mächti- 
gen Grafen von Montfort im Spiele stehen. Am 
9. Mai 1308 schrieben die Grafen Hugo von Mont- 
fort-Tettnang und Hugo von Bregenz an den Dogen 
von Venedig, sie hätten so viele Kosten für König 
und Reich gehabt, dass sie gezwungen gewesen 
seien, hundert Ballen feiner Tuche mitsamt den 
Kaufleuten auf dem Bodensee aufzuheben, um sich 
bezahlt zu machen. Die Ware sei «nach der Schät- 
zung kluger Leute» 10000 Mark wert, was aber 
immer noch nicht ihre für das Reich geleisteten Aus- 
gaben erreiche. Trotzdem seien sie aus «Erbarmen 
und Frömmigkeit» bereit, die Ballen für 6 000 Mark 
herauszugeben. Schulte bezeichnet dieses Schrift- 
stück als das «Muster eines Brigantenbriefes», doch 
werden wir nach allem, was wir zuvor vernommen, 
den Vorgang nicht in so vereinfachten Konturen 
sehen. In diesem Zusammenhang sind nun einige 
Ausserungen des Grafen Jörg von Werdenberg von 
besonderem Interesse, die dieser zur Rechtfertigung 
von Gewalttaten vorbrachte, in denen «auch der 
Strauchritter und Wegelagerer zum Durchbruch 
gekommen» war. Er beruft sich darin immer wieder 
auf die naturrechtliche Lehre vom Widerstands- 
recht, ja er spricht sogar von einem «göttlichen 
Recht» auf die Anerkennung seines Besitzes. Gerade 
dieses letztere Argument wollen wir nicht über- 
sehen. Es steht dahinter noch die Vorstellung von 
einer göttlichen Welt- und Rangordnung, in der 
dem Ritter eine besondere privilegierte Stelle zuge- 
wiesen ist. Diese «Ordnung» zu erhalten, fühlt er 
sich sogar zur Gewalttat befugt. Solche Anschauun- 
gen wirken auch mit bei dem gegen das Ende des 
Mittelalters sich immer heftiger steigernden Hass 
des Ritters gegen den Bürger und Kaufmann, den er 
nun — an Stelle seiner Standesgenossen — immer 
ausschliesslicher als seinen eigentlichen Gegner 
suchte. «Es waren die Todeszuckungen eines dem 
Untergang geweihten Standes. Junkerstolz und eine 
tiefe Abneigung gegen eine Zeit, in der nicht mehr 
die Faust, sondern das Geld regierte.» Gewiss stan- 
den Neid und Ressentiment bei solchen Empfindun- 
gen im Vordergrund, aber von weither wirkte doch 
auch noch der Glaube an jene alte, in den Augen der 
Ritter göttliche Rang-und Standesordnung hinein 
und die nicht mehr abzuweisende Vorahnung, dass 
diese «Ordnung» zu stören die «Pfeffersäcke», wie 
sie die Kaufleute verächtlich nannten, sich an- 
schickten. 
Wie leicht bei so enger Vermischung von Edlem und 
Schlimmem Recht in Unrecht übergehen kann, das 
sieht man besonders klar an einem bestimmten Zug 
des Raubrittertums, der vielleicht auch bei dem von 
ıns hernach zu besprechenden Fall eine Rolle 
gespielt haben könnte. 
Es gehörte zu den Ehrenpflichten des Ritters, gegen 
verletztes Recht anzutreten. Dies war ein «nobile 
officıum» von ursprünglich reinem Glanz, das aber 
in der Verzerrung des Verfalles sich so auswirkte, 
dass ein Ritter, der, aus welchen Gründen nur 
immer, Händel suchte oder auf Raub angewiesen 
war, sich nur einen Geschädigten zu suchen 
brauchte, um als dessen Kämpe den Beutezug zu 
führen. Es lag dann in seiner Hand, zu bestimmen, 
was davon in seinen Händen blieb. Bald wurde 
jedoch die Methode noch vereinfacht, indem sich 
der Ritter den Anspruch dessen, dem Unrecht 
geschehen war, zedieren liess und nun auf eigene 
Faust loszog. Unnötig zu sagen, dass von da aus nur 
noch ein Schritt zur gewerbsmässigen Wegelagerei 
war, bei der nun der Ritter die düstere Rolle eines 
zedungenen Räubers spielte. 
Vor dem trüben Hintergrund einer so wider- 
spruchsvollen Situation haben wir nun ein Begebnis 
zu betrachten, von dem uns ein im Churer Stadt- 
archiv liegendes Dokument Kunde gibt (siehe 
Anhang). Es ist ein Brief des Bürgermeisters und 
Rates zu Memmingen an die Stadt Chur vom 11. Juli 
1466, in dem berichtet wird, dass «Wilhelm Rychen- 
stein» den Memminger Bürger «Hansen Wernher» 
auf der Strasse zwischen Feldkirch und Vaduz nie-
	        

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