Liechtensteinische Gesellschaft für Umweltschutz
wassers war wohl noch bedeutender. Es
löste aber Emotionen aus. Man ent-
deckte gewisse Werte selbst im gelenk-
ten, eingedämmten Rhein, vor allem mit
den Kiesbankmäandern. Der Erlebnis-
raum Alpenrhein gewann damit an
Bedeutung. Er wurde zur nicht mehr ver-
nachlässigbaren Grösse in der Land-
schaft, eine prägende und formende
Kraft, der zentrale Strom dieses Tales.
Seine Anwohner haben nun in einem
weiteren Schritt Anrecht auf ein mög-
lichst authentisches Gesicht dieser Land-
schaft, weil dieses Bild unser Befinden
beeinflusst, die Landschaft prägt uns.
Welche Veränderungen sind deiner Mei-
nung nach notwendig, damit wieder
LGU)
mehr Leben in unseren Alpenrhein und
damit in den gesamten Talraum kommt?
Mario Broggi Die Erkenntnisse, dass
dem Wasser mehr Raum gegeben wer-
den muss, sind europaweit verankert, so
in der EU-Wasser-Rahmenrichtlinie und
der Schweizerischen Gesetzgebung über
den Wasserbau. Es gilt diese rechtlichen
Erfordernisse umzusetzen, insbesondere
dann, wenn die Dammsicherheit nicht
mehr ausreichend besteht. Wir haben
hier Vorbilder in unserer Grossregion in
der Linth-Ebene und im Kleinen mit der
Renaturierung am untersten Liechten-
steiner Binnenkanal. Für diese Wiederbe-
lebung des Alpenrheins mit den nótigen
Ausweitungen scheint der erkennbare
Mitteilungen Nr. 74: Dezember 2014 Seite 3
politische Wille noch nicht ausgeprägt.
Meine Vision wäre hier ein Perspektiv-
wechsel. Nicht die Zivilgesellschaft par-
tizipiert am Entscheidungsprozess, son-
dern die Behörden und Experten
partizipieren an einem Kreativprozess
der Zivilgesellschaft. Das heisst die Ent-
wicklung sollte aus der Mitte der Gesell-
schaft, hüben und drüben, in Form eines
Gesellschaftsvertrages angestrebt wer-
den. Ich bin überdies überzeugt, dass
man die meisten Partikularinteressen mit
innovativen Lösungen einbauen kann.
Dazu gehört insbesondere die Landwirt-
schaft. Den grossen Gewinn sehe ich
dann in einem neuen Angebot der Erho-
lungsnutzung mit mehr Lebensqualität
im Tal.
Wasserkraftnutzung am Alpenrhein
Bereits heute wird das Einzugsgebiet des Alpenrheins zur Stromgewinnung stark beansprucht.
Im Interview hat Mario Broggi bereits auf
den Grenznutzen der Energiegewinnung
aus Wasserkraft hingewiesen. Ungefähr
40 Speicherkraftwerke gibt es bereits im
Einzugsgebiet des Alpenrheins. In jedem
Kraftwerk wird zur Stromgewinnung
Wasser aufgestaut, bei Bedarf turbiniert
und dann abgelassen. Im Alpenrhein und
seinen Zuflüssen kommt es so mehrmals
täglich zu künstlichen Ebbe- und Fluter-
eignissen mit schlimmen Folgen für die
Wassertiere. Wird das turbinierte Wasser
schwallartig abgelassen, schwemmt es
Fischbrut, -eier und bodenlebende Orga-
nismen fort. Gleich nach dem Schwall
bewirkt der darauffolgende Sunk (Ebbe),
dass die Lebewesen entweder auf Kies-
bánken abgelagert werden, wo sie ver-
trocknen, oder in die Sohle gedrückt
werden, wo das mitgeschwemmte Fein-
sediment sie bedeckt und erstickt. Die
meisten Fischarten kónnen sich daher im
Alpenrhein nicht mehr fortpflanzen und
benutzen ihn nur noch als Wander-
route. Leider stellen Wasserkraftwerke
auch grosse Wanderhindernisse dar. Für
künstliche Aufwártswanderhilfen kann
zwar beim Kraftwerksbau, beispielsweise
durch Fischtreppen gesorgt werden, aber
die Rückwanderung führt für viele Fische
durch die Turbinen.
Durch den Rückstau des Wassers zur
Stromgewinnung, bleibt den Fischen in
vielen Seitengewássern des Alpenrheins
nur noch das sogenannte Restwasser als
Lebensraum. Dieses ist knapp bemessen
und häufig ungenügend, um eine vielfäl-
tige und gesunde Fischpopulation auf-
recht zu erhalten.
Wir brauchen sauberes
Grundwasser
Staustufen stellen eine Gefahr für unser
Grundwasser dar, denn durch sie ver-
langsamt sich die Fliessgeschwindigkeit,
wodurch sich Nährstoffe anreichern und
es zu einer zunehmenden Verschlam-
mung kommt. Die Gewässersohle kann
durch diese Schlämme verstopft werden,
wodurch die Grundwasseranreicherung
blockiert wird. Es ist wichtig, dass die
gute Qualität unseres Grundwassers er-
halten bleibt, denn etwa eine halbe Mil-
lion Menschen sind davon abhängig.
In der Schweiz sind jetzt bereits mehr
als 90 Prozent des wirtschaftlichen Poten-
tials der Wasserkraft ausgeschópft und
viele Experten sind der Ansicht, dass sich
ein weiterer Ausbau nicht mehr lohnt. Es
kann davon ausgegangen werden, dass
durch einen weiteren Aus- und Neubau
von Wasserkraftanlagen theoretisch etwa
5 Terawattstunden Energie gewonnen
werden kónnen. Davon muss man 1 bis
2 Terawattstunden wieder abziehen, da
künftig die Restwassermengen aus óko-
logischen Gründen erhóht werden müs-
sen. Weitere Produktionseinbussen von
rund 2 Terawattstunden seien durch den
Klimawandel zu erwarten, wodurch
schlussendlich nur noch sehr wenig zu-
sátzlicher Strom aus Wasserkraft erzeugt
werden kann (BAFU 201 1).
Rein wirtschaftlich gesehen, ist ein Aus-
bau der Wasserkraft derzeit nicht loh-
nend. Ausserdem kónnte durch Strom-
sparmassnahmen, zum Beispiel durch ef-
fizientere Geráte und bewussteren Um-
gang, wesentlich mehr Energie einge-
spart werden, als durch den Neubau von
Wasserkraftanlagen zur Verfügung ge-
stellt werden kann. Die LGU ist überzeugt,
dass Staumauern vor unserer Haustüre
unnótig sind. Für wenig Zusatznutzen
würde ein irreparabler ókologischer und
landschaftlicher Schaden verursacht.
Kraftwerk Reichenau: Wasserkraft-
nutzung verándert die Landschaft
langfristig.