Demonstration mit Zwi-
schenfall in Liechtenstein
‚bw. Vaduz, 5. März. Bei einer Demon-
stration zugunsten der Gleichberechti-
zung der Frau kam es am frühen Frei-
:agabend in Vaduz zu, Tätliehkeiten,
Rund 120 Schüler des Liechtensteini-
schen Gymnasiums hatten zu einem
Orotestmarsch wegen der Ablehnung
der Frauenstimmrechtsvorlage auf-
gerufen. Von Liechtensteinern, die Ge-
sichtsmasken trugen, wurden ihnen die
Transparente mit Slogans wie‘ »Wir
danken den Ja-Stimmern« und »Eva,
wo bist du? — Hinter dem Herd« sowie
ein Trauerkranz mit der Aufschrift
»Wir trauern um die Gileichberechti-
gung« entrissen und auf dem Boden
zerstampft. Die Vermummten zogen
auch auf Aufforderung der Demonstra-
tionsleitung hin ihre Masken nicht aus.
Die Jugendlichen verhielten sich vor-
bildlich, nachdem ihnen von vornherein
eingeschärft worden war, sich nicht
provozieren zu lassen, sodass sich der
einzige anwesende Polizist auf die Ver-
kehrsregelung beschränken konnte.
Tages-Anzeiger, Zürich, 6. März 1977
Aufruf
Liechtenstein bleibt der einzige Staat
ohne Frauenstimmrecht.
Diese Schlagzeile, die bereits die ganze
Weltpresse durchwandert hat und einmal
mehr Liechtenstein als ernst zu nehmen-
der Staat in Frage stellt, veranlasst uns
zu einer öffentlichen Stellungnahme.
Wir Iaden die 1816 Ja-Stimmer und alle
Frauen, die sich zum Frauenstimmrecht
bekennen, zu einem Protestmarsch am
Freitag, den 5, März, um 18.00 Uhr ein.
Wir versammeln uns beim Marktplatz in
Vaduz und hoffen auf Ihre Unterstüt-
mung.
im Namen Vieler
Die Schülerschaft des Liechtensteinischen
Gymnasiums
_jechtensteiner Vaterland, 4. März 1971
den Zuges auf dem Marktplatz zeigte, bahnte sich hier weniger eine Demonstration
gegen die Nein-Sager vom 28. Februar an, sondern vielmehr eine Manifestation des
Dankes für die Ja-Stimmen. Anstelle der mitunter provozierenden Slogans, die noch
am vergangenen Sonntag den Unmut mancher Bürger erweckt hatten, waren
Spruchbänder des Dankes getreten: «Wir danken den Ja-Stimmern», «Vaduz,
Schaan, Schellenberg, Ruggell und Planken — wir danken Euch!» — Oder humorvolle,
wie «Irren ist menschlich», «Eva wo bist du? — hinter dem Herd.»
Selbst jene Zuschauer, die der angekündigten Demonstration (auch als erklärte
3efürworter des Frauenstimmrechtes) skeptisch gegenüberstanden und darin kein
Jeeignetes Mittel für die Unterstützung des Postulates «Frauenstimmrecht» sahen,
deruhigten sich angesichts der sehr positiven Parolen und der korrekt auftretenden
Jugendlichen sehr bald. Da und dort schlug die anfängliche Kritik sogar in Sympathie
Jm.
Doch kaum hatte sich der Zug auf dem Marktplatz in Richtung Regierungsgebäude in
Bewegung gesetzt, da geschah etwas, das man lieber nie erlebt hätte: einzelne
Zuschauer und vereinzelte Zuschauergruppen drangen (teilweise mit vermummten!
Sesichtern) auf die Jugendlichen ein, entrissen ihnen die harmlosen Spruchbänder,
schlugen mit Fäusten auf die durchschnittlich etwa 17- bis 19jährigen Demonstran-
ten und Demonstrantinnen ein, rissen einzelnen die Brillen von den Gesichtern und
schleuderten sie weg, warfen Fasnachtsspregkörper in den Zug und faule Eier!
zinzelne versuchten den Manifestationszug mit Autos zu stoppen, indem sie einfach
unkontrolliert in die Leute hineinfuhren. Ausserdem griffen sich einzelne Zuschauer
die Jungen Mädchen bei den Haaren, versuchten sie aus dem Zug zu zerren und
Dedachten sie mit Schimpfworten, von denen «Huren» noch eines der gebräuchlich-
sten war!
Konsterniert verfolgten die meisten der rund 500 Zuschauer diesen Ausbruch von
Gewalt und blinder Wut, der mit nichts, aber auch mit gar nichts zu rechtfertigen war.
Es war lediglich der gewollten Passivität der jugendlichen Manifestanten zu verdan-
ken, dass es am Freitagabend in den Hauptstrassen von Vaduz keine Strassen-
schlacht im Sinne des Wortes und möglicherweise Schwerverletzte oder gar Tote
gegeben hat. Gemäss ihren Instruktionen wehrten sich die Jugendlichen praktisch
Iberhaupt nicht, als Stöcke auf ihre Köpfe niedersausten und ihnen das Haar
ausgerissen wurde.»
Die Beurteilung dieser Schilderung darf man wohl dem Leser überlassen. Nur eine
kleine Bemerkung am Rande: 15 Jahre später war es dann so weit, das Frauen-
stimmrecht fand endlich in einer Abstimmung die nötige Mehrheit. Von den Helden‘
von damals sprach niemand mehr, auch nicht von den maskierten ‘’Amateur-Gang-
stern‘. Nur eines blieb: Das Gymnasium behielt in einigen Teilen der Bevölkerung
seinen revolutionären Anstrich’, nachdem im Lande etwas Neues geschehen war:
Junge Menschen hatten sich getraut, ihre Meinung öffentlich zu sagen und dafür
auch noch den Kopf hingehalten. Doch anscheinend hatte das Wort «Demonstra-
Jon» bei einigen Liechtensteinern «Assoziationen von brennenden Autos, Pflaster-
steine werfenden Studenten und Schlägereien» ausgelöst, was an die Studentenun-
ruhen Ende der 60er Jahre in Frankreich und Deutschland erinnerte. 71