Volltext: 50 Jahre Gymnasium in Liechtenstein

als das «Land der 1000 ungenutzten Möglichkeiten» entdecken. Die wenigsten aber 
nehmen derart Distanz von ihrer Herkunft, dass Liechtenstein nur noch als ein 
möglicher Arbeitsplatz, als vorübergehende Bleibe vorstellbar ist. 
Sicherlich gründet die Bandbreite der soziokulturellen Anschlussfähigkeit zu einem 
wesentlichen Teil in der Persönlichkeit des Ausbildungsnehmers. Nach wie vor sind 
ndividuelle Neigungen und Befähigungen entscheidende Gründe für Auswahl und 
Gestaltung des nachschulischen Ausbildungsweges. Dennoch ist das 8jährige 
soziale und geistige Nahrungsangebot des LG als prägendes Dispositiv nicht zu 
unterschätzen. Rückblickend gibt sich das Bildungszentrum hinter der Viehweide 
ıämlich als äusserst ambivalentes Sprungbrett für weitere Lebensphasen zu erken- 
nen. Man möchte vorweg resümieren, dass das LG die viel zitierte Weltoffenheit, 
Aumanität und Menschenbildung weder fördert noch hemmt; es ist in vielem 
zweischneidiges Angebot: 
Bereits gesetzlich kommt dem LG eine — gemessen an ausländischen Schulen — 
nicht unerhebliche Autonomie in Führungs- und Unterrichtsfragen zu. Zudem steht 
es allein in unserem Bildungssystem. Dieser Sonderstatus ist Vorbedingung für eine 
gewisse Lehr- und Narrenfreiheit, ein pädagogisch und kulturell nutzbarer Mehrwert. 
So entstehen behütete «Experimente» wie Seminarwochen, Theatergruppen, Schü- 
leraktionen u.a., die ihren Teilnehmern wichtige Erfahrungen eigener Identität und 
Interessen vermitteln. Dies sind Ansprüche, die es im oftmals nivellierenden und 
passiven Massenbetrieb an den Hochschulen erst wieder zu finden gilt. Andererseits 
verschafft das LG durch seine Abgeschiedenheit und Einzigartigkeit einigen einen 
allzu voreiligen Bildungsdünkel, ein Selbstbewusstsein ohne erhebliche praktische 
und theoretische Gegengewichte. Anfänglich elterlicherseits investierte Prestige- 
wünsche werden von manchem Kind schliesslich in der fleissigen Verfolgung einer 
weiterhin kritik- und bewährungsfreien, auf den heimischen Bedarf zugeschnittenen 
Karriere eingelöst. 
Weiters gelingt es am LG, in nicht geringem Masse durch zahlreiche ausländische 
Fachkräfte, ein breites und heterogenes Wissens- und Informationsangebot in die 
Klassen zu tragen. Eine Allgemeinbildung, die unter dem wachsenden Spezialisie- 
‚ungsdruck der Universitäts- und Fachausbildung, nur privat weiterzuführen ist. Für 
viele Studierende bedeutet dies dann eine Mehrarbeit, die man sich erst gar nicht 
Macht. 
Allerdings gerät jenes humanistische Ideal bereits in der Schule unter die Räder einer 
vom 45-Minuten-Takt bestimmten Lern- und Prüfungsmaschinerie. Oft genug 
schwappt des Schülers Motivationspegel unter die kritische Aufmerksamkeits- 
schwelle. Dazu kommt ein leidiger Theorieüberhang, fehlende Alltagsbezüge und 
Anschauungsdefizite, So werden Zeitgeschichtsdebatten und Minderheitenfragen 
vorzugsweise als ausländische Manöverkritik betrieben. Insbesondere der B-Typ 
entlässt seine Zöglinge mit einem Mindestmass an Ahnung von aktuellen Wirt- 
schafts- und Rechtsverhältnissen. Schliesslich kann der Eindruck einer drückenden
	        

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