gen und Drahtauslöser, immer wieder den Atem anhielt, auf eine windstille Sekunde
wartete, um abzudrücken. Es war Nigritella nigra, var. rosea, ich entsinne mich
genau, an einer Stelle, an der es heute diese Pflanze nicht mehr gibt.
Aber die Sequenz der Aufzeichnungen sagt vielleicht weniger über meine Fort-
schritte als Blumenphotograph, als über meinen Lehrer Frater Ingbert Ganss und
seine Art, uns etwas beizubringen. Ich glaube, ihm verdanke ich etwas. Er hatte
weitgespannte Interessen, war immer bereit, sich auf Neues einzulassen. Spät noch,
bereits im Beruf, promovierte er über Seneca, gab Latein so gut wie Deutsch,
zeichnete, botanisierte mit Leidenschaft, war fasziniert von den Entwicklungen der
modernen Biologie, scheute sich aber auch nicht, Schreibmaschinenstunden zu
geben, und als er beschloss, auch noch Russisch zu lernen, versammelte er eine
kleine Gruppe von Schülern um sich, denen er sein Wissen gleich weitergab — uns
immer um eine gute Lektion voraus. Ich bedaure sehr, ihn während der Zeit meines
Studiums nicht öfter besucht zu haben. Vor Jahren, als ich ihm schliesslich meine
Dissertation brachte, stiess ich bei ihm auf brummendes Desinteresse. Seine Zeit
war abaelaufen.
Mit den Jahren verschoben sich die Gewichte. Meine eigentliche Neigung während
der letzten Jahre der Gymnasialzeit — und darüber hinaus — galt der Literatur. Ab 1963
unterrichtete Josef Wolf in unserer Klasse Deutsch. Ich habe über ihn die folgende
Anmerkung (14. Mai 1963) gefunden: «Unser Lehrer Dr. Wolf («Pepb) ist noch sehr
‚ung, ... aber scheint ein ziemliches Wissen zu haben». Ich muss sehr viel gelesen
4aben in dieser Zeit. Manche Anregung dazu kam aus dem Unterricht. In der
_andesbibliothek entdeckte ich die Bücher von Hans Henny Jahnn, insbesondere die
Romantrilogie «Fluss ohne Ufer», war beeindruckt von der «ungeheuren Sprach:
stärke», kritisierte, was ich als «eine Art Naturreligion» auszumachen vermeinte. Die
'iste der Autoren, mit deren Büchern ich mich 1963 beschäftigte, umfasst einen
disparaten Horizont: es stehen hier in der Reihenfolge der Lektüre Werfel, Hesse,
Carossa, Frisch, Hemingway, Dostojewskij, Böll, Hofmannsthal, Gaiser, Jahnn, Les-
sing, Dürrenmatt, Camus und Zuckmayer, Buck, Schneider und Zweig. Ich habe sie
alle mehr oder weniger ausführlich kommentiert. a
Es begann die Zurechtlegung der Fakultäten, die Auseinandersetzung mit der
Sprache. Unter dem 10. September 1964 steht: «Wunderbare Vermischung von
_eben, Dichtung, Kunst und Wissenschaft, Sprachgewalt in Goethes Werk. Und
doch kann ich da nicht mehr folgen. Wissenschaft gehört nicht im Geringsten ins
Reich der Dichtung, auch nicht Philosophie ... Dichten, darin sehe ich den Ausdruck
‚nneren Empfindens und Erkennens, und das in möglichst einfacher Form. Ich glaube
beinahe an eine Vollendung des Ausdruckes, die sich uns aber nur ganz selten in
ainem Wort, höchstens einem Satz darbietet und wie ein Geschenk des tätig
versuchenden Geistes anmutet. Es gibt Augenblicke, wo die Sprache direkt inneres
Gefühl, Zustand darstellt, wo sie nicht Vermittlerin, sondern Trägerin ist, und diese
Augenblicke gilt es zu suchen, abzuwarten und festzuhalten.»
Und es begann die Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen, Eine Eintragung
vom 24, August 1964 verkündet: «Es gibt einseitig genial begabte Menschen. Ihr
Lebenswerk bewegt sich in einer einzigen Richtung. Dort leisten sie Grosses,