Süsser Vogel Jugend
Von Werner Wollenberger (t)
Und wenn mir’s ein paar missgünstige Menschen auch nie und nimmer glauben
werden: ich bin wirklich einmal zur Schule gegangen.
Mehr noch: sogar auf eine höhere. Zugegeben: das ist schon eine hübsche Weile
ner und von den vielen interessanten Sachen, die sie mir dort beigebracht haben,
weiss ich gar viele nicht mehr. Sie lösten sich wie kleine weisse Wolken an meinem
aigenen Horizonte auf, sie versanken in den undurchsichtigen Wirbeln des Flusses
_ethe.
Pardon, ist das nun auch wirklich ein Fluss?
ıch meine die Lethe.
Oder ist das nur eine Flüssigkeit, die man bei den Griechen getrunken hat?
Ich weiss es nicht mehr. Ich weiss nur noch, dass Lethe Vergessen gewährt oder
2ach sich zieht (wie man will) und dass es etwas Antikes ist und dass es gebildet ist,
wenn man es erwähnt und dass es noch gebildeter wäre, wenn man wüsste, was es
‚Nirklich ist.
Nun ja, schön wär's, wenn ich nur die Lethe vergessen hätte!
Um ehrlich zu sein: auch die Schule hätte ich beinahe vergessen.
Werner Wollenberger maturierte 1945
am Collegium Marianum. Nach einem
Zermanistikstudium in Basel schrieb er
zuerst vor allem für die Basler Zeitung
und den Nebelspalter. Später leitete er
die Unterhaltungsabteilung von Radio
Basel, war Chefredaktor der Zürcher
Noche, schrieb für zahlreiche Zeitungen
und verfasste Kabarett-Texte und
Musicals, Wollenberger starb am
17 Oktober 1982.
Aber da kam vor ein paar Tagen ein Couvert, eine Drucksache, und als ich mir den
'nhalt trotzdem anschaute, da fielen drei gedruckte Jahresberichte jener Schule
heraus und auf einem davon stand ‘Viele Grüsse, F.Ingbert‘, und dann habe ich
angefangen zu lesen und dann war auf einmal wieder alles-alles da.
Liechtenstein.
Vaduz, ragendes Schloss über den Dächern, Souvenir-Geschäfte, Föhnfahnen am
Alvier, Kolonnen von Kühen zwischen Kolonnen von Autocars.
Und das Collegium.
Eine Villa, zu Lehrzwecken umgebaut, ein Garten mit Bimen, die man nicht stehlen