1858 hat Fürst Johann die Regierung angetreten.
1859 hat er sein Land besucht. Mit Triumphbö-
gen, Beleuchtung und unter Mitwirkung des hie-
sıgen Sängerchors (!) ist er empfangen worden.
Am 26. September 1862 hat Liechtenstein eine
neue Verfassung erhalten. Sie garantiert die Mit-
wirkungsrechte des Volkes am Staatsgeschehen
und enthält einen Katalog von Grundrechten:
Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit der Person
und der Religionsausübung, Pressefreiheit, Recht
auf ordentlichen Richter, Hausrecht, Loskauf
von Zehnten, Grundzinsen und Feudallasten,
Petitionsrecht, Selbstverwaltung der Gemeinden,
Vereinsrecht.
Die Volksvertretung, der Landtag, besteht aus
zwölf in indireker Wahl durch Wahlmänner
zewählten und drei vom Fürsten ernannten
Abgeordneten. Die Abgeordnetenwahl findet im
Saal auf Schloss Vaduz statt. Am 29. Dezember
1862 ist der Landtag eröffnet worden, am 28.
April 1863 schliesst er seine erste Session. Präst-
dent ist Dr. Karl Schädler, Landesphysikus aus
Vaduz. Das Tagungslokal des Landtags befindet
sich im Gasthaus des AbgeordnetenFranz Anton
Kirchthaler, Apotheker und Textilfabrikant aus
Vaduz (heute «Vaduzerhof»). Aus Vaduz kom-
men auch die Abgeordneten Markus Kessler,
Landrichter, und Gregor Fischer, Reallehrer,
sowie Landesvikar Josef Wolfinger. Diese starke
Vertretung aus Vaduz führt auch zu Spannungen
im Landtag. So fällt in einer Debatte die Anrede
«Ihr Herren in Vaduz», worauf sich der Abgeord-
nete Kirchthaler das Wort «Vaduzer» als «nicht
parlamentarisch» verbittet und meint: «Wir ver-
treten nur das Land»,
7 Plenar-und 15 Kommissionssitzungen haben in
der ersten Session stattgefunden. Die zweite Ses-
sion beginnt am 30. Mai. Eine Reihe wichtiger
Geschäfte werden behandelt: Erneuerung des
Zollvertrags mit Österreich, Zehntablösungs-,
Gemeinde- und Staatsbürgerschafts- sowie Was-
serrechtgesetz.
Die Regierung besteht aus Landesverweser von
Hausen und je einem Landrat aus dem Oberland
und Unterland. Der Oberländer Landrat ist
Johann Georg Marzer, Bürgermeister von
Vaduz. Sitz der Regierung ist seit 1856 die ehe-
nalige hemschaftliche Taverne und Zollstätte
«zum Adler» (heute Landesmuseum!). Die
Rechtssprechung erfolgt nur in erster Instanz im
Lande. Die zweite und dritte Gerichtsinstanz
»efinden sich in Wien und Innsbruck. Landrich:
‚er in Vaduz ist Markus Kessler,
Das Gemeindewesen befindet sich im Umbruch.
Ein neues Gemeindegesetz soll das bisherige von
1842 ablösen. Heiss umstritten sınd Fragen des
Gemeinde- und Staatsbürgerrechts sowie die
Nutzungsrechte am Gemeindevermögen. Der
Vaduzer Ortsrichter darf seit 1861 gemäss einem
fürstlichen Erlass den Bürgermeistertitel führen.
Dass neben dem Bürgermeister Johann Georg
Marxer, dem Säckelmeister Joseph Anton
Amann und zwei «Gemeinderäten» auch der
«Ortsvorsteher» Joseph Risch und der «Kassier»
David Boss die Gemeinderechnung von 1863
anterzeichnen, hat wohl eine besondere
3ewandtnis. Marzxer ist am 2. Februar 1857 zum
Ortsrichter gewählt worden. Weil er «Nichtbür-
ger» war, hat die Regierung seine Wahl als ungül-
ig erklärt. Darauf wird er in einer zweiten
Gemeindeversammlung zunächst ins Vaduzer
Bürgerrecht aufgenommen und sodann mit gros-
ser Mehrheit zum Ortsrichter gewählt. 1861 ıst
Marzxer für eine zweite Amtsperiode fast einhellig
bestätigt worden. Die Verwaltung und Regelung
der Nutzung des Gemeindebodens ist offensicht-
uch nicht dem «Neubürger» Marxer sondern
einem eigens bestimmten «Ortsvorsteher» und
«Kassier» übertragen. Diese Funktionen sind wie
zuch die Bezeichnung «Gemeinderäte» in der gel-
tenden Gemeindeordnung nicht vorgesehen. Sie
sind offensichtlich der laufenden Diskussion um
eine Gemeindegesetzreform entnommen und
von der Vaduzer Gemeindeversammlung eigen-
mächtig eingeführt worden!