Volltext: Georg Malin, Skulpturen

sind von der Mitte her spiralförmig geweitet. Mit diesem Öff- 
nen der Kreisbewegung wird dem achsial anfallenden Licht 
der Sonne geantwortet: indem das Licht darüberfällt, werden 
die Tagesstunden gezählt. Ihre Numerierung ist auf den ver- 
schieden hohen Stufen in arabischen und römischen Zahlen 
vermerkt. Das gussrohe Bronzerelief wurde zum Modell für 
die in feingeschliffenem Cresciano-Granit ausgeführte Son- 
nenuhr (54) im Hofe des Liechtensteinischen Gymnasiums 
zu Vaduz. Diese grosse Skulptur ist begehbar: der Mensch 
selbst wird zum schattenwerfenden Ding. Objektiviert aber 
wird das Lichtleben an der Sonnenuhr durch das aus Stahl 
geformte Gnomon, welches die Ortszeit gibt, die gleichzeitig 
feststeht und fortrinnt. 
«Ultima latet» wird zuweilen zu den Sonnenuhren geschrie- 
ben, weil uns Menschen die letzte Stunde verborgen bleibt. 
Aber auch anders, als Gleichmass in der Dauer des Zeitflus- 
ses, wird die Sonnenuhr erfahren; so findet sich in der Verbo- 
tenen Stadt zu Peking neben dem T’ai Ho Tien, dem Palaste 
der höchsten Harmonie, die Sonnenuhr mit dem Gnomon als 
Ausdruck einer Qualifikation, die dem Kaiser des Reiches der 
Mitte zugesprochen worden ist: dass er als Repräsentant der 
Menschen im jährlich neu anhebenden Dialog mit dem Tao 
die rechte Zeit weiss. Wie das jedes wahren Künstlers wird 
auch Malins Schaffen aus solchen ihm unbewussten Tiefen 
genährt, und der Betrachter wird angeregt zu Verknüpfungen 
mit Gestalten und Gestaltungen aus allen Kulturbereichen. 
Betrachtung von Kunstwerken geht stets vom Einzelnen aus 
zum Entfernteren hin, das wieder zurückweist, und die Erfas- 
sung des Eigentlichen wird vom Fernen befördert und ange- 
reichert. Die Bezüge sind das Anregende beim Gang durch 
das eigene «Musege Imaginaire»; so steigt die Erinnerung auf 
an den Riesen in Goethes «Märchen», der in der Mitte des 
Hofes vor dem Himmelstempel in ein kolossales Gnomon 
verwandelt wurde, aus rötlich gläänzendem Steine, «und sein 
Schatten zeigte die Stunden, die in einem Kreis auf dem 
Boden um ihn her, nicht in. Zahlen, sondern in edlen und 
bedeutenden Bildern eingelegt waren.» Nur in der Zeit lässt 
sich das Zeitlose erfahren.
	        

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