Toleranz - Rechte und Pflichten in der Gemeinschaft
Kulturunterschiede
Die Arapesh leben in den Bergen nahe der Nord-
westküste Neuguineas. Sie führen dort ein friedli-
chesund karges Leben. Das Land ist wenig frucht-
bar, und ihre Arbeitsmethoden sind unrentabel.
Den Arapesh ist ein enges gemeinschaftliches
Leben wichtiger als Produktivität; Gutmütigkeit,
Freundlichkeit, Zurückhaltung, Selbstverleug-
nung und gemütliche Häuslichkeit sind ihre
höchsten Werte. Ihrem Menschenbild entspre-
chend, versuchen sie diese auch in ihrer Erzie-
hung zu verwirklichen.
Wie wird aus dem Arapesh-Säugling die gutmü-
tige, freundliche und aufgeschlossene Persön-
lichkeit des erwachsenen Arapesh? Welchen ent-
scheidenden Faktoren in der Erziehung des Kin-
des ist es zu verdanken, wenn es sanft und zufrie-
den, warmherzig, gelehrig und vertrauensvoll
und weder aggressiv noch ehrgeizig oder drauf-
gängerisch wird? Natürlich werden in jeder einfa-
chen, undifferenzierten Gesellschaft die Kinder,
sind sie erwachsen, die gleichen Wesensmerk-
male zeigen wie ihre Eltern und Vorfahren. Aber
das ist nicht einfach ein Ergebnis der Nachah-
mung. Zwischen der Art und Weise, wie ein Kind
ernährt, schlafen gelegt, gebändigt, Selbstbeherr-
schung gelehrt, liebkost, bestraft und ermutigt
wird, und der endgültigen Ausrichtung des
Erwachsenen besteht ein sehr feiner und eindeu-
tiger Zusammenhang. Darüber hinaus gibt die
Art, in der Männer und Frauen ihre Kinder
behandeln, den allerbezeichnendsten Aufschluss
über die Persönlichkeit der Erwachsenen eines
Volkes und beleuchtet die zwischen den
Geschlechtern bestehenden Gegensätze am
schärfsten. Wir können die Arapesh und das
warmherzige, mütterliche Wesen sowohl der
Männer wie der Frauen nur dann richtig verste-
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hen, wenn wir die frühen Eindrücke ihrer Kind-
heit und die Eindrücke, die sie ihrerseits ihren
Kindern zuteil werden lassen, betrachten.
Während der ersten Monate seines Lebens wird
2in Säugling niemals allein gelassen. Wenn die
Mutter umhergeht, trägt sie das Kind entweder in
sinem Tragnetz, das von ihrer Stirn herunter-
hängt, oder unter der Brust in einer Schlinge aus
Bastgewebe bei sich. Das Tragnetz ist bei den
Flachland-Arapesh üblich, die Brustschlinge bei
den Küstenleuten; die Frauen in den Bergen ver-
wenden beide Mittel, wobei sie sich nach dem
Gesundheitszustand des Kindes richten: Ist es
ınruhig und reizbar, dann tragen sie es lieber in
der Schlinge, weil es dann leichter an die trö-
stende Brust gelegt werden kann. Wenn das Kind
weint, ist das eine Tragödie; sie muss um jeden
Preis vermieden werden - das gilt auch für das
weitere Leben. Die anstrengendste Zeit kommt
für die Mutter, wenn das Kind etwa drei Jahre,
also zu alt ist, um an die Brust gelegt zu werden,
aber noch zu jung, um die Gründe für sein Wei-
nen” klar ausdrücken zu können... Es wird
zestillt, wann immer es schreit, und ist an den
angen Kontakt mit dem mütterlichen Körper - im
Tragnetz auf ihrem Rücken, in ihren Armen oder
auf ihrem Schoss - so gewöhnt, dass es das
Gefühl ständiger-Geborgenheit hat.
Das Leben des Säuglings verläuft in Wärme und
Wohlbehagen. Er wird niemals allein gelassen;
tröstende menschliche Haut und menschliche
Stimmen sind immer in der Nähe. Mädchen wie
Jungen lieben kleine Kinder und sind immer
bereit, sie auf den Armen zu halten. Wenn die
Mutter zum Arbeiten in den Garten geht, nimmt
sie ein grösseres Kind mit, das auf den Säugling
aufpasst, statt ihn den ganzen Vormittag allein auf