Im Jahre 70 wurde Jerusalem von einem römischen
Heer unter dem nachmaligen Kaiser Titus erobert und
zerstört. Bei der Verehrung, welche die Juden den
Prophetengräbern entgegenbrachten, ist anzunehmen,
dass auch das Grab Jesu, des letzten und grössten
Propheten, für die ersten Christen ein heiliger Ort war,
dessen Lage sich ihrem Gedächtnis eingeprägt hat.
Daran konnte auch Kaiser Hadrian (76-117), der nach
dem Aufstand Bar Kochbas auf den Trümmern von
Jerusalem eine neue, römische Stadt erbaute, die er
«Colonia Aelia Capitolina» nannte, nichts ändern,
obwohl er gerade über der-den Christen so heiligen
Stätte einen Tempel zu Ehren der Aphrodite (Venus)
erbaute. Vielleicht half dieser «Greuel an heiliger
Stätte» dem Gedächtnis und Erinnerungsvermögen der
Christen sogar nach.
Dreihundert Jahre lang wurde die Kirche im Römer-
reich unterdrückt und verfolgt. Die grosse Wende kam
durch Kaiser Konstantin I. Nach seinem Sieg an der
Milvischen Brücke (312) bekannte er sich offen zum
christlichen Glauben. Die Taufe empfing er allerdings
erst auf dem Sterbebette. Nachdem er mit seinem Sieg
über Licinius (324) die Alleinherrschaft im Römischen
Reich erlangt hatte, nahm er die Kirche unter seine
Fittiche — nach unsern heutigen Begriffen, nur allzu
sehr. Bleibende Zeichen seiner Hinwendung zum Chri-
stentum sind die Kirchenbauten, die er errichten liess:
in Trier, in Rom (Lateran- und Peterskirche), Bethlehem,
und eben auch die Grabeskirche in Jerusalem.
Konstantins Hofgeschichtsschreiber und Biograph
Bischof Eusebios v. Cäsaräa, berichtet, wie der Kaiser
326 befahl, das Heilige Grab «für alle sichtbar zu
machen», «ein Bethaus um die heilbringende Höhle zu
bauen» und diese «als Haupt des Ganzen freigebig mit
ausnehmend feinen Säulen und grosser Pracht auszu-
schmücken».
Die Grabeskirche Konstantins muss ein gewaltiges
Bauwerk gewesen sein, vermutlich von der doppelten
Grösse der heutigen Anlage. Von Osten her betrat man
durch ein geräumiges Atrium die fünfschiffige Basilis,
Martyrion genannt. An diese schloss sich, von Säulen
umgeben, ein offener Hof an mit dem Golgotha-Felsen.
Dieser war mit silbernen Schranken umgeben. Über
ihm stand unter einem Baldachin ein Votivkreuz. Dieser
offene Hof wurde im Westen abgeschlossen von der
Kapelle, die das Grab Jesu umschloss, der sogenann-
ten Anastasis (= Auferstehung). Dies ist der Ort, wo Zeit
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KAISER KONSTANTIN
ERBAUT DIE
GRABESKIRCHE