sammlung zeigte sich einiges an Konfliktpoten-
tial. Während der Referent aus Arbeiterkreisen -
es handelte sich um Andreas Vogt aus Balzers -
laut Volksblatt die «Unvorsichtigkeit» beging,
«dass er seine Liebe zur «sozialdemokratischen
Gewerkschaft» zu sehr durchblicken liess, ver-
traten drei Geistliche die Auffassung, es müsse
eine christliche Arbeiterbewegung gegründet
werden. Vogt hingegen stellte sich auf den
Standpunkt, es sei eine Vereinigung auf wirt-
schaftlichem Gebiet «ohne religiöses Anhäng-
sel» zu schaffen. Die Geistlichen hielten zwar
eine Arbeiterorganisation auch für dringend not-
wendig, nahmen aber energisch Stellung gegen
einen sozialdemokratischen Einschlag des zu
gründenden Verbandes. Das christliche Moment
dürfe in einer katholischen Gegend wie es Liech-
tenstein sei, nicht ausgeschaltet werden, warn-
ten die Pfarrherren. Mit Hinweisen auf die Lage
in Wien und den 1918er Generalstreik in der
Schweiz sollten mahnende Beispiele gegeben
werden, wozu die «Soziherrschaft» führen wür-
de. Weitere Redner an dieser Orientierungsver-
sammlung waren Anton Walser, Vaduz, und
Reallehrer Gustav Schädler. Sie äusserten sich
hauptsächlich zu Zollvertragsfragen und zu
Währungsproblemen. Am Schluss der Ver-
sammlung wurde ein 7-köpfiger Ausschuss ge-
wählt, dem die Ausarbeitung von Statuten über-
tragen wurde.
Laut Volksblattbericht war an dieser Orientie-
rungsversammlung z.T. recht heftig und emo-
tional diskutiert worden. Ausdrücke wie «Pfaff»
und «Schuster bleib bei deinen Leisten» wurden
geäussert, so dass der Präsident der Versamm-
lung mehrmals zur Sache mahnen musste. Der
Widerstand gegen einen «neutralen», bzw. der
Kampf für einen «christlichsozialen Arbeiterver-
ein» wurde auch durch mehrere «Eingesandt»
im Volksblatt vom 31. Januar 1920 zum Aus-
druck gebracht. Die gereizte Stimmung zeigte
sich in Bemerkungen gegen die Ausserungen
Andreas Vogts. Er wurde als «Genosse Vogt aus
Balzers» angeredet oder ihm vor Augen ge-
halten, niemand könne «überzeugter Sozialde-
mokrat und zugleich guter Katholik» sein. Vogt,
der sich darüber beklagt hatte, dass die Arbeiter
im Landtag nicht vertreten seien, wurde vorge-
worfen, er nehme es mit der Wahrheit nicht all-
zu genau. Mehr als ein halbes Dutzend Bauern
und ein Handwerker seien im Landtag, wurde
ihm entgegengehalten. Und wenn diese Hand-
werker und Bauern keine ‘Arbeiter seien, dann
seien «Würste auch kein Fleisch und Stauden-
bündel kein Holz».
Kaplan Alfons Büchel erliess im Volksblatt
vom 4. Februar einen Aufruf mit dem Titel: «Ar-
beiter, organisiert Euch katholisch!» Als Begrün-
dung für eine katholische Arbeiterorganisation
führte Kaplan Büchel an, dass der Mensch nicht
vom Brot allein lebe und dass Papst Leo XIll. ge-
sagt habe: «Die soziale Frage ist nicht eine blos-
se Magenfrage, sondern eine sittlich-religiöse».
Büchel vermerkte bei dieser Gelegenheit auch
kritisch, dass die Mehrzahl der in der Schweiz
arbeitenden Liechtensteiner bei den Sozialisten
mitmache.
Die definitive Gründungsversammlung des
«Liechtensteinischen Arbeiterverbandes» fand
am Montag, dem 2. Februar 1920, am Feiertag
Maria Lichtmess, im Adlersaal in Vadurz statt. Es