Felix Vogt
Bergwege
Es gibt sicher wenige in unserem Land, die noch nie unsere Berg-
wege betreten haben. Aber auch die Zahl derer ist klein, die alle unsere
Bergwege schon mehrmals durchwandert haben.
Es ist immer ein besonderes Gefühl, wenn wir von der Fahrstrasse
auf den weichen Weidenweg ausscheren können, oder wenn wir in stel-
lem Aufstieg über einen steinigen Bergpfad uns verausgaben können.
Der Bergweg kann auch Ort der Begegnung werden, oder der Ein-
samkeit und der Stille. Hier begegnen sich alt und jung, sie alle haben
ihre Ziele.
Die Jugend eilt, früh am Morgen gehen sie mit flinken Füssen berg-
wärts, ihr Auge sucht die höchsten Spitzen und die kühnsten Grate.
Abgekämpft und zufrieden kehren sie am Abend zurück, sie haben einen
Teil ihrer Welt erobert und die Freude darüber steht in ihren Augen.
Es kommen die Aelteren, sie sind schon früher diesen Weg gegan-
gen. Damals haben sie die Blumen nicht gesehen und auch nicht die Alp,
an der sie vorbeigegangen sind. Aber heute haben sie Zeit und Musse:
Ihre Augen und ihr Herz wandern mehr, als es die müden Füsse ver-
mögen. Sie duzen den alten, halbverfallenen Zaun oder den ewigjungen
Bergbach. Sie riechen im Frühling am Seidelbast und im Sommer am
Männertreu, im Herbst lieben sie den herben Duft der Gräser und
Kräuter, die bereits der Frühfrost gegilbt hat.
Es kommen die Fremden, die Gäste, die Rastlosen und Ruhesuchen-
den. Sie eilen gegen den Aussichtspunkt, knipsen oder strecken ihren
Kopf in die Landkarte und vergessen darob fast, dass man es geniessen
sollte, stehen und staunen könnte. Sie alle sollen etwas vom Bergweg
mit heimnehmen, das ihnen niemand nehmen kann, das sie aber auch
weiterschenken können: Etwas von der Freude und Zufriedenheit, von
der Besonnenheit und Bescheidenheit, die sie dort gefunden oder doch
wenigstens gesehen haben.
A