Volltext: Liechtenstein in Europa

Österreich. Die Wiener Schlussakte von 1820 unterzeichnete der nassauische Minister Ernst Franz Ludwig Freiherr Marschall von Bieberstein für die 16. Kurie und damit auch für Liechtenstein. Der Bund bedeutete eine wirksame Existenzgarantie auch für sein klein­ stes Glied: Konflikte Liechtensteins mit St. Gallen und Graubünden konnten durch die Rückendeckung des mächtigen Bundes weit besser durchgestanden werden als aus eigener Kraft. Für Liechtensteins Selbständigkeit war es wichtig, dass nicht nur Österreich, sondern auch der Bund einen politischen Rückhalt bot. Andererseits drohte Liechtenstein bei krisenhaften Zuspitzungen in der Schweiz zum Aufmarschgebiet zu werden — wirtschaftliche Massnahmen Öster­ reichs gegen die Eidgenossen zogen das kleine, arme Liechtenstein wiederholt schwer in Mitleidenschaft. Zwar war die politische Distanz zur republikanischen Schweiz noch unverkennbar, die wirtschaft­ lichen Verflechtungen mit dem westlichen Nachbarn Hessen sich jedoch nicht leugnen; aber gerade diese politische Distanz machte Österreich zum unentbehrlichen Wirtschaftspartner, angesichts seines Ubergewichts eine wahre «Societas leonina», in der Liechtenstein die Zollpolitik des Habsburger Reichs immer wieder zu spüren bekam55. Nahezu zwangsläufig erwuchs aus der politisch-militärisch-wirt­ schaftlichen Verflechtung mit Österreich ein Vorbildcharakter der Habsburgermonarchie. Die als Rechtsgarantie von der Bundesakte vorgeschriebene dritte Gerichtsinstanz über dem Vaduzer Oberamt und der Wiener Hofkanzlei wählte Johann I. im Innsbrucker Ober­ appellationsgericht; in einem Notenwechsel mit Metternich suchte man die Balance zwischen Souveränität, praktischen Erfordernissen und Gesetzen der Sparsamkeit zu währen. Das Oberappellationsge­ richt konnte die liechtensteinischen Richter, nicht aber die Justizver­ waltung inspizieren; im zivilen Revisionsverfahren verzichtete der Fürst auf ein Bestätigungsrecht, was mehr Rechtsstaatlichkeit bedeu­ tete, behielt aber das Begnadigungsrecht bei Todesstrafen. Am bedeut­ samsten war die 1819 festgelegte automatische Übernahme österrei­ chischer Verordnungen zu den bereits rezipierten Gesetzen, womit eine fast völlige Rechtseinheit mit Österreich hergestellt wurde56 — 66 Ospelt, Wirtschaftsgeschichte, S. 358—367 (Literatur). 56 Herrn Paul Vogt danke, ich den Hinweis auf den Unterschied zwischen «judi- ziellen» und «politischen» Gesetzen. Es ist klär, dass es sich hier nur um die Übernahme von Gesetzen in der Rechtsprechung handelt — das Fehlen ausge­ prägter konstitutioneller Verhältnisse,' begünstigt/ durch die Ferne des Fürsten, liess keine profilierte liechtensteinische Gesetzgebung'entstehen. Sehr deutlich wurde dadurch der autonome Spielraum der Landvögte gesteigert. 66
	        

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