Volltext: Liechtenstein in Europa

wohner, politisches und soziales Leben. Aber das Spezifische, das ganz Andere gegenüber den andern, der Unterschied zur Nachbar­ schaft, die Gewissheit, dass (enge) Grenzen Eigentümlichkeiten einr fangen, sei dies im Blick auf Topographie, Herkunft, Volkstum, Ge­ schichte, Sprache und Religion, dies herauszuarbeiten, glaubhaft vor­ zustellen und sich damit zu identifizieren, fällt im Kleinstaat schwer. Dennoch muss das Selbstverständnis einer staatlichen Gemeinschaft einer der Urgründe eigenstaatlicher Existenz sein. Nicht zufällig kämpften die besten Bürger des jungen souveränen Fürstentums ge­ rade in der Mitte des 19. Jahrhunderts um die Klärung dieser Frage­ stellungen. Diese Männer haben intensiv die Gewichtslosigkeit des Kleinstaates im internationalen Kontext erfahren, und der Zweifel an der eigenen Position wirkte lähmend auf jede Aktivität. Peter Kaiser, der erste Abgeordnete Liechtensteins zur Deutschen National­ versammlung in Frankfurt, gehörte dort keiner Partei an und fragte 1848 ob, «wenn das Ländlein nichts Eigenthümliches hat», es dann nicht besser wäre, ganz, österreichisch zu werden. Gegen Ende 1848 sprach man in Frankfurt von der Beseitigung der über dreissig deut­ schen «Despoten» und «Häuptlingen» von der Landkarte.30 Peter Kaisers Nachfolger in der Paulskirche in Frankfurt, Karl Schädler, quälten dieselben Gedanken: «sollen wir nicht jezt, wo es Zeit ist und leicht gienge, selbstthätig auf Mediatisirung dringen, oder sollen wir uns passiv am Schlepptau der Ereignisse uns durch diese früher oder später mediatisiren lassen?» Schädler beklagte für Liechtenstein den «Mangel an Stoff und Kraft zur Bildung eines Staates».31 Der Mangel an Eigengewicht und Eigentümlichkeit liess Liechtenstein neben anderen Gründen vor und während des Zweiten Weltkrieges in gefahrvolle Zonen abgleiten, als eine aktive Minderheit Fragen nach der Existenzberechtigung des Kleinstaates an diesen richtete. Aber gerade aus der Kleinheit kann Kraft, Selbstvertrauen und Iden­ tität wachsen. Kulturpolitik als Mittel zur staatlichen Identität Wenn unser Kleinstaat, um den Mangel an Eigentümlichkeit, Stoff und Kraft aufzuwiegen, nach zusätzlichen Existenzialien ausschaut und diese Eigenschaften im Kulturellen — und zwar im weitesten 30 Peter Geiger, a.a.O., 1970, 128, 130. Peter Kaiser an Menzinger, 2. Juli 1848. 31 Peter Geiger, a. a. O., 1970, 150. 124
	        

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