Freilichtspkle auf Schloß Gutenberg
-11- Ei, der Tausend, sind die Liechtenstei
ner ein rühriges Theatervölklein geworden!
Letztes Jahr hatten die Vaduzer ihre vielbesuch,
len Freilichtspiele auf dem fürstlichen Schloß
droben, und in diesem Sommer grei;en die von
Balders zu Hallbart und Spieß und bevölkern
die Burg weiland ihrer Herren zu Gutenberg,
die der Bildhauer Rheinberger bekanntlich
längst aus Schutt und Asche zu neuem, stolzem
Da'ein erweckt hat. Noch sind die Gutenber
ger Freilichtspiele nicht zu Ende gegangen —
es wird an schönen Sonntagen bis in den Sep
tember hinein gespielt — so kündigen die Va
duzer ein Winzerfest mit Spielen und Tanzen
an. Das Beste und Gediegenste hat ihnen aber
Gutenberg sicher vorweg genommen. Denn was
da vom tatenlustigen Sängerbund Balzers ge
boten wird, übertrifft alle Erwartungen.
sind dabei von. Lobe nicht auszunehmen.
Es gab Zeiten, da man aus Schloß Guten
berg wüste Schwerthiebe austeilen konnte. Im
übrigen war schon immer für Kenner ein sicher
historisches Gelüsten nach süffigem Gutenber
ger. Heute läuft man dort auf dem weinum-
sponneiien Burahügel nicht mehr Gefahr mit
Hellebarden unsanft traktiert und heimgesucht
zu werden. WaS damals war, ist heute Spiel
geworden, an dem wir uns erlaben. Und auch
der Wein läßt sich noch aus hohen Zinnkrü-
gen köstlich schlürfen.
Ob auch dieses gefahrlos geworden ist, wage
ich allerdings nicht zu entscheiden. Da man
aber sagt, daß überwundene Gefahren herzstär
kend sind und freudig stimmen, darf ich^tzey
Besuch der außergewöhnliche Eindrücke vermit
telnden Freilichtspiele auf Schloß Gutenberg
mit gutem Gewissen und aus freudiger lkeber-
zeugung enrpfehlen. (
Shur, Freitag dm 21. August 192*
Nr. 195.
Bereits an den letztjährigen Vaduzer Frei-
lichtfplelen wurde der Darsteller des Intrigan
ten, der junge Liechtensteiner Dichter Karl
Jos. Minsk, sezncs beweglichen, leidenschaft
lichen Spieles wegen mit Recht viel beachtet.
Inzwischen ist er einest tapfern Schritt weiter
gegangen, hat selber ein Burgenspiel „Der
letzte Gutenberger" versaßt, und ein
Tausenbsasia der er ist. gleich auch die Regie >
' und die Titelrolle übernommen. Bei solcher
Vielfältigkeit würde sich mancher Springinsfeld
sicherlich „überlüpfen". Aber der zielbewußte
Wagemut der jungen, angrissigeft und niemals
erlahmenden Dichters hatte sich nicht zuviel zu
gemutet. Ihm ist das unmöglich erscheinende
überraschend gelungen: aus dem numerisch
nicht sehr zahlreichen Sängerverein eine seinen
Absichten iveugehende Gesellschaft williger Mi
men zu machen und Aufführungen zu erzielen,
die weit über Mittel stehen, was man sonst auf
dem Lande etwa zu sehen gewohnt ist. Ja, es
skamen auf Gutenbera Freilichtspiele zu
stande, die für ähnliche Liebhaberaufführungen
geradezu vorbildlich zu nennvn sind. Das
Gute lag allerdings auch hier n-che. Der Dich
ter gestaltete eine Episode an- dem Schwaben-
krieg, die für die damalige Zeit der wirklich
noch ftisch-fröhlichen Kriegführung charakterr-
tisch war und setzt sein Burgenspiel ganz ein-
ach auf den historischen wirklichen Schauplatz,
äßt seine Söldner kraftvoll sprechen, wie ihnen
>er Schnabel gewachsen ist, nämlich in der
Mundart des Landes, verwertet alte Kriegs
anekdoten und schasst volkshaste Gestalten, keme
nervenkranken „Helden" der neuen Zeit. Und
da nun auch der alte, «seuumsponnene Burg-
I hos den idealen Rahmen ohne Kulisse und
Pappe bildet, wirkt sein Spiel natnrhast, echt.
und urwüchsig, wie es selbst ein Esiektregis-
seur h la Reinhardt auf der raffiniertesten
Drotzstadtbühne nicht nachhaltiger erzwingen
'kann.,..Ich habe jedenfalls am letzten Sonntag
tiefere Eindrücke empfangen, als im Frühjahr
tm Nationaltheater in Berlin, ulld mein letz
ter Rest von Skeptizismus, der mich bei den
Immerhin noch unzulänglichen und störenden
Einflüssen ausgesetzten Freilichtspielen in Her
tenstein u. Vaduz beschlich, ist besserer Erkennt
nis gewichen. Ja, ich bin heute geneigt zu
Dauben, daß die wirkliche Renaissance des
Theaters über die Freilichtbühne gehen muß.
Gesundung kann auch hier nur von diesem
«Zurück zur Naturl" kommen. Bisher meinte
man, nur der Berussschauspieler dürfe die
Freilichtbühne mit Erfolg betreten, aber auch
das Liebhabertheater soll inskünstig ruhig das
«Licht des Tages" und die Erleuchtung eines
heitern Himmels empfangen. Sicher ist heute,
daß diese Erleuchtung nicht mehr vom raffi
nierten Beleuchtungsapparat der Stadtbühne
kommt, sofern, wie in Gutenberg so günstige
äußere und innere Umstände zusammeimiirken.
. Es hat lange gebraucht, bis diese Erkennt-
n, 8 kam, daß wir selber unser« Kräfte nur zu
regen brauchen, um an uns naheliege.iche Aus-
gaben gestellt, jedes fremde Berusstheater mit
I Erfolg zu konkurrenzieren. Nicht, daß wir als-
größere Künstler sind als jene, die
firf™ erl1 ^ un ^ W niemals, aber Heimat«
k.chcl aü { bem Volksleben schöpfende Bühnen-
cht und -darstellnng vermag die Volksseele
aufzurühren, als die noch so große, län-
rvurchziehende Kunst der großen und kleinen
hakeipeares... Ich erinnere nur an die noch
beute nach einem Vierteljahrhuudert unverges
senen Calven-Festfpiele in Chur zu einer Zeit,
da man noch nicht von Freilichtspielen sprach
(und doch schon etwas ähnliches bot!). Das
Gutenberger Bnrgenspiel ist, wenn auch in klei
nerem Rahmen den Liechtensteinern das, was
für uns daS Calven-Feftspiel.
Was Gutenberg gegenwärtig bietet ist, mit
andern Worten, nicht Theater im landläufigen
Sinne, es ist naturwüchsiges Spielen und ein
Wiedererwecken alter Zeiten in der wirklichen
Natur. Wir nähern uns mit unsern Burgen-
und Freilichtspielen wiederum dem griechischen
und römischen Theater int offenen Bühnenraum.
Das kannte auch keine Kulissen und Beleuch-
tungsefsekte. Das Freilichttheater verzichtet al
lerdings nicht aus den Effekt des Sonnen, und
Mondlichtes (ein erster gelungener Versuch mit
einer nächtlichen Freilichtaufführung hat das
bewiesen!), aber auch hier ist es kein billiger
Thcateref ekt, es ist immer nur die lange ge
glaubte „Primitivität" der Natnrvorgänge, die
tiefere Wirkungen auszulösen vermag. Was
soll ich noch sagen? Einzelheiten und kleine
tritile Bedenken verschwinden im grüi»»^.gl-
leS Überstrahlenden Gedanken, daß auf Vchwß
Gutenberg eine unser künftiges Theaterlebrn so
erfreulich anregeitde Tat gewagt worden'kst. ES
heißt denn auch schon, daß die Sarganser näch
stens aus ihrem Schloß den Versuch heimatlicher
Freilichtspiele wagen wollen. Gutenberg
macht à)ulel Uno soll cs auch!
An dem Bnrgenspiel Minsts ist vor alleni
auch die selten in leeres Pathos-,, fallende
Sprache, die sich nicht scheut mWÜtet recht
kriegsknechthast derb zu sein, lobenswert. Zwi
schen daS in einem volkstümlichen Bühnenstück
unumgängliche Liebesidyll treten anmutige
Neigen und Täitze, und mehr als einmal
bricht urwüchsiger Humor befreiend diirch, be-
sonder- da, wo die Rede von der zunächst höchst
harmlosen, ja operetienhaftcn Belagerung mit
unzulänglichen Mitteln ist. Der das harmlose
Kriegsgeschehen aus seinem Ausguck beobach
tende und glossierende Türmer Sebi ist eine
PrackrtSfigur, kantig und breit wie eilt Hol-
bein'scher Holzschnitt Kraftvoll glaubhaft wirkt
auch das gemessene Spiel des Burgvogis, nicht
minder sympathisch ist die Leistung des Ka
plans, wie die Hauptrollen durchwegs i» gu
ten Hände» liegen. Die wriblick)cn Darsteller