Religionsfreiheit
Daher wurde der «Anregung» auf Gewährung der Religionsfrei-
heit der Dringlichkeitschatakter abgesprochen *. Der einzelne ver-
mochte dieses Freiheitsrecht, das ihm auf dem Gebiete des Glaubens
und der Religion, seine Entscheidungen unabhängig von staatlichem
Einfluß zu treffen, zusprach, noch nicht zu realisieren.
Eine Verfassungsnorm, welche die Religionsfreiheit gewährt, stän-
de im Widerspruch zur herrschenden Auffassung von Staat, Kirche
und Religion. Es ist nicht zu verkennen, daß sich unter den gegebenen
Voraussetzungen eine solche Bestimmung ausschließlich gegen die
katholische Kirche gerichtet hätte, zu der sich der Staat seit jeher
bekannte. Die Religionsfreiheit hätte in diesem Falle eine eindeutige
Absage zur bisher praktizierten Regelung des Verhältnisses von Staat
und Kirche, das auf einer Identifizierung beider Bereiche basierte,
beinhaltet. Die Frankfurter Grundrechte riefen eine heftige Gegen-
reaktion der Geistlichkeit hervor 2, die ihrerseits zur Abwehr kirchen-
feindlicher Einflüsse und Ideen ihre großen Einflußmöglichkeiten
auf das Volk wahrnahmen und ihre Kräfte mobilisierten *.
$ 4. Die Entstehungsgeschichte des $ 8 der Verfassung von 1862
I. Der Verfassungsentwurf des Landesverwesers Menzinger von 1859
Der Verfassungsentwurf des Landesverwesers Menzinger vom 22.
März 1859 *, der zum größten Teil den gleichen Wortlaut wie die
Verfassung Hohenzollern-Sigmatingens von 1833 hat, bildete eine
ı Das beweisen schon die Entwürfe Kaisers, (A 3) Oehris (A 7) und Schädlers
(LRA 1862 XV 15; siehe dazu GEIGER P. 89 Fußn. 49), welche die Religionsfrei-
heit nicht aufführen — auch wenn sie nur fragmentarische Entwürfe sind, mit Aus-
nahme desjenigen von Oechri. ;
2 So im Brief Dr. Grass an Schädler Karl in Frankfurt vom 1. Februar 1849,
LRA Schädler Akt 311.
3 Dafür gibt es genug Beispiele aus der Geschichte, wie etwa um 1721, als
sich der Klerus in einer Beschwerdeschrift vehement an die kaiserliche Kommis-
sion wandte. Darin verurteilt er die kitchenräuberischen Handlungen des luthe-
rischen Kommissärs Harprecht und seines gleichgesinnten Genossen, des Böh-
mers Alois Brändl. Harprecht habe schon beim Huldigungseid die Anrufung der
Mutter des Herrn und der Heiligen übergangen. Man könnte also dem Volke so-
zusagen vorwetfen, es habe einen Jutherischen Eid abgelegt. (KA1sER/BÜCHEL
519). — Ebenso legt die Memorialschrift betreffend die kirchlichen Übelstände
von 1841, BAC O 193 e/1841, die Wachsamkeit der Geistlichkeit dar.
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