Gegenwartslage des Staatskirchenrechts
stehungsgeschichte in Zusammenhang mit der in der Verfassung
niedergelegten Staatskirchenordnung, so wird diese Ansicht weit-
gehend bestätigt.
Schon zur Zeit der noch geltenden 1862iger Verfassung verwies
man bei bevorstehenden Regelungen von staatskirchlichen Materien
und bei schwelenden Konflikten auf das «so erfolgreiche Einver-
nehmen zwischen kirchlicher Oberbehörde und der hiesigen Landes-
stelle» und versuchte mittels dieses notgedrungen (für den Staat
jedenfalls, da er sich gezwungen sah, vom alten Staatskirchentum
loszukommen) beiderseits anerkannten Grundsatzes, eine Lösung
anzustreben *.
Von der systematischen Zuordnung zu Artikel 38 der Verfassung
her gesehen, liegt es nahe, diese Formel auf gemischte Belange zu-
geschnitten zu belassen. Demzufolge beinhaltet sie die für den Staat
grundsätzliche Norm — nach der sich selbstverständlich auch die
Kirche zu richten hat — wonach Angelegenheiten, die sowohl den
staatlichen wie den kirchlichen Bereich berühren, im gegenseitigen
Einvernehmen zu ordnen sind. Ein einseitiges gesetzgeberisches
Vorgehen auf staatlicher Seite wäre verfassungswidrig, und das
erlassene, verfassungsverletzende Gesetz nichtig.
In dieser Bestimmung findet also die Superiorität des staatlichen
Rechts ihre Schranken. So gesehen, käme dieser Formel eine über
Art. 38 letzter Satz hinausreichende Bedeutung zu, und es wären
damit die staatlichen wie die kirchlichen Ansprüche in den gemisch-
ten Angelegenheiten ausreichend, d. h. verfassungsmäßig geschützt.
ı Zitiert aus dem Schreiben von Hausens an den Bischof von Chur vom
13. November 1865, BAC O 193 e/1865.
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