Gegenwartslage des Staatskirchenrechts
sorgerlichen Funktionen auszuüben hatte, eingegliedert. In der staat-
lichen Ordnung nahm sie eine isolierte Position ein, die auf ihren
eigenen religiösen Lebensbereich eingeengt blieb, denn es fehlte
ihr jeglicher geistige und religiöse Bezug zu diesem Staate, sicht man
von der Bindung an den Arbeitsplatz ab. Eine missionarische Ziel-
setzung hatte der Zusammenschluß der evangelischen Religions-
angehörigen von Anfang an nicht in Aussicht genommen 1, Auch
das letzte menschlich-geistige Band, das sie noch dauernd an diesen
Ort zu binden vermocht hätte, wurde durchschnitten dadurch, daß
ihre verstorbenen Angehörigen laut Weisung der Regierung ?, wie
bisher in Sevelen begraben werden mußten. So entschied sich im
Grunde der Fortbestand dieser evangelischen Gemeinde nurmehr
an der Frage einer ausreichend gewahrten Seßhaftigkeit seitens ihrer
Mitglieder. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schien die Lage
so zu sein, daß das religiöse Leben der evangelischen Religionsgemein-
schaft fast zum Erliegen gekommen war 5.
Zur Zeit der Verfassungsgebung von 1921 war die staatskirchen-
politische Situation noch einfach, und der Verfassungsgeber konnte
stillschweigend die Tatsache der Existenz der evangelischen Kirche
übergehen. Erst der gewaltige Aufschwung der Industrie nach dem
2. Weltkrieg bedingte eine stark zunehmende Einwanderung von
Ausländern, die zwangsläufig zu einer Konfessionsvermischung
führen mußte. Man erachtet es aber heute noch nicht als notwendig
und dringend, das Verhältnis des Staates zu den evangelischen Kir-
chen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, die einer Weiter-
ı Deshalb scheint mir die Äußerung Pfr. Gremingers in seinem Bericht an die
Commission des protestantischen kirchlichen Hilfsvereins des Canton St. Gallen
vom 26. Januar 1894, Protokollbuch für die evangelische Gemeinde in Triesen,
übertrieben, wenn er schreibt: «Es ist dies um so wünschenswerter und noth-
wendiger, als die kleine Herde drüben nicht nur dem herrschsüchtigen Katho-
\izismus gegenüber, sondern auch dem überall sein kühnes Haupt erhebenden, be-
zaubernden Zeitund Weltgeist gegenüber in eine ernste Kampfstellung gerückt ist.»
2 Vgl. dazu die Stellungnahme der Regierung im Schreiben an das bischöfliche
Ordinariat zu Chur vom 1. Juni 1875, LRA Jg. 1875 Reg. Fasz. Nr. 658.
3 Diesen Eindruck vermittelt das Protokoll vom 25. März 1914. Protokoll-
buch für die evangelische Gemeinde in Triesen. Heinrich Jenny, der Schrift-
führer, gibt zu Protokoll: «Einen ständigen Prediger haben wir nicht mehr, doch
kommt Herr Pfr. Brütsch, oder in dessen Verhinderung ein Missionar, Herr
Zellweger, im Laufe des Jahres circa 7 oder 8 mal zu uns, so daß wir nicht ganz
verlassen sind, was für eine so kleine Gemeinde, die sich wie ein lichter Punkt
im schwarzen Erdteile ausnimmt, nötig ist.»