1. Abschnitt:
DIE RECHTSSTELLUNG DER RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN
$ 1. Der Landeskirchenbegriff
Die geltende Verfassung von 1921 hat in Art. 37 Abs. 2 S. 1 * mit
dem Terminus «Landeskirche» einen Begriff gewählt, der in der
liechtensteinischen Verfassungsgebung neu ist 2, Die Verfassung von
1862 kannte keine verfassungsmäßige Umschreibung der Rechtsge-
stalt der katholischen Kirche. Mit dem Auftreten «anderer Konfessio-
nen» sah sich der Verfassungsgeber gezwungen, den staatskirchlichen
Rechtsstand der Religionsgemeinschaften verfassungskräftig zu ver-
ankern 3, Es gilt nun dieses neuartige Rechtsgebilde aus seiner ent-
wicklungsgeschichtlichen Perspektive heraus zu verstehen und es einer
eingehenden Untersuchung und kritischen Würdigung zu unterziehen.
I. Entwicklungsgeschichtliche Bedeutung
7. Landeskirche im System des Staatskirchentums als Staatskirche
Die in der Reformation zum Ausdruck gekommene und in der Folge
zerbrochene und nicht wieder herstellbare Einheit der christlichen
Kirche löste eine gebietsweise Aufsplitterung der Konfessionspart-
teien aus und drängte auf eine Angleichung der Kirchenorganisation
an den Territorialstaat nach der geltenden staatkirchenpolitischen
Maxime: «cuius regio — eius religio». Die Kirche erhielt einen «terri-
ı A 19.
? Dieser Begriff ist den schweizerischen kantonalen Verfassungen, vor allem
den vorwiegend evangelischen oder ursprünglich paritätischen Kantonen, nicht
fremd; vgl. z. B. KV GR vom 2. Oktober 1892 Art. 11 Abs. 2; neuestens fand
er auch Niederschlag in der KV NW vom 10. Oktober 1965 Art. 34 Abs. 1.
3 Darauf wird im folgenden noch näher einzutreten sein.
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