Problematik einer Eherechtsreform
IIL. Charakteristische Wesenszüge der staatlichen Ehegesetz gebung
Das ABGB sollte nach der Absicht des Gesetzgebers eine einheitliche
Kodifikation darstellen und frühere zerstreute Gesetze und Rechts-
bestimmungen zu einem Ganzen verschmelzen. Das Eherecht läßt
aber erkennen, daß es lediglich eine Kopie, ein «Extract der Jose-
phinischen Verordnungen» ist *. Trotz weitgehender und tiefgreifen-
der Unterschiede zum kanonischen Recht wahrt es Abstand vor einer
vollständigen Säkularisierung der Ehe, die aber nun auf der Grund-
lage und im Gefolge eines « doppelten Eherechtssystems» * — die
staatliche weltliche Ordnung ist vom kirchlichen Sakramentalbereich
abgespalten — zwangsläufig ein unterschiedliches weltliches und kirch-
liches Gepräge erhält. Die axiomatische Formel heißt: «Das Sacra-
ment gebührt der Kirche, der Contract der Ehe gehört zur Competenz
des Staates» 3. Diese Kompetenzzuteilung ist das Ergebnis einer staats-
rechtlichen Auswertung der regalistischen Eherechtsdoktrin.
1. Die kirchliche Eheschließungsform
Der Eheschließungsakt ist in, beiden Rechtsordnungen identisch.
$ 75 ABGB kennt als einzig zulässige Eheschließungsform die kirch-
liche Trauung. Zur Eingehung einer Ehe zwischen einer katholischen
und einer nichtkatholischen Person ist nach $ 77 weiterhin die triden-
tinische Formvorschrift maßgeblich. Die Einwilligung hat vor dem
katholischeti Pfarrer zu geschehen. Ebenso ist die Verkündigung von
3 Aufgeboten beibehalten worden ($ 71). Aufgebot, Trauung und
Trauorgan haben aber eine staatskirchenrechtlich systemgerechte
Umdeutung erfahren. Das Staatskirchentum sieht im Aufgebot nichts
anderes als eine «staatspolitische Cautel», degradiert die Trauung zu
einer «staatlichen Institution» und den Priester zu einem « staatlichen
Beamten» *, Die Lehre vom doppelten Eherechtssystem hat in ihrer
Konsequenz der Einführung der Eheschließung vor einer staatlichen
Behörde (Zivilehe) Vorschub geleistet. Diesem Schritt hin zur Ver-
weltlichung der Ehe maß aber der katholische Staat kein großes Ge-
i FRIEDBERG 145.
2 SCHWAB 214.
3 FRIEDBERG 142.
+ FRIEDBERG 143.
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