Kultusfreiheit
[nteressensphären. Damit ist der Staat gezwungen, Position zu beziehen,
die ihm eine am Gemeinwohl abgewogene Entscheidung abverlangt *.
Das kanonische Recht (can. 1118) lehnt eine Scheidung der voll-
zogenen christlichen Ehe als gegen göttliches Gebot verstoßend ab.
Unausweichliche Folge einer Einführung der Ehescheidung ist die
unüberbrückbare Kluft zwischen staatlichem und kirchlichem Recht,
Doch scheint mir aus der Sicht des Staates die Möglichkeit, eine
Scheidung zuzulassen, unumgänglich, will er nicht das von der
Verfassung gewährleistete Grundrecht der Bekenntnisfreiheit weiter-
hin zu einem bloßen Programmsatz degradieren. Tatsache ist, daß
kein weltliches Gesetz imstande ist, Eheleute, die im Grunde ihres
Wesens auseinanderstreben; beisammenzuhalten. Sie suchen und
finden auf Umwegen staatlich untersagte Aushilfe aus der Starre
der Gesetzgebung 2.
Unser Zivilgesetz kennt noch in den $$ 103 £. ABGB die sog.
Scheidung von Tisch und Bett?3, die es Katholiken ermöglicht, denen
aus teligiöser Überzeugung eine Scheidung (gänzliche Trennung) ver-
wehrt ist, mit dieser vermittelnden Einrichtung vorlieb zu nehmen.
In Anbetracht dieser beiden Rechtsinstitute dürfte man dafür-
halten, daß ein so normiertes Ehegesetz vor allem unter dem Aspekte
der Bekenntnisfreiheit das Bild eines abgewogenen lebensnahen
Rechtsstaates entwirft.
$ 8. Die Kultusfreiheit
In der Textfassung des Art, 37 Abs. 2 S. 2 der Regierungsvorlage
spiegelt sich eine anfängliche Unsicherheit über den persönlichen
Geltungsbereich der zu garantierenden Kultusfreiheit wider *, Die
1 In diesem Augenblick könnte er diese Frage nicht mehr wie bis anhin um-
zehen.
2 So z.B. durch Ehebruch, Konkubinat; vgl. dazu KöstLEr 191 £f. Im IPR
führt unsete Gesetzgebung zu besonders großen Härten infolge des Ehehinder-
nisses des Katholizismus ($ 111 ABGB). Die von einem Liechtensteiner im Aus-
land nach dessen Rechtsvorschriften nur zivil geschlossene Ehe ist ebenso un-
auflöslich wie die liechtensteinische kirchlich geschlossene.
3 Zu dieser Regelung sucht Köstler in seinem Entwurf zum österreichischen
Ehegesetz wieder zurückzukehren; vgl. diesbezüglich seine Ausführungen 191 f,
4 Vgl. die frühen Entwürfe (A 14/5 5, A 15/5 6, A 16/6 6) mit der Regierungs-
vorlage (A 17/$ 37).
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