Glaubens- und Gewissensfreiheit
Das religiöse Bekenntnis erschöpft sich aber nicht allein in den
spezifisch den Kultus berührenden Akten, auch nicht nur in den An-
weisungen in Fragen der Religion und der Seelsorge. Es kann auch
in den Formen anderer Grundrechte, wie etwa der Meinungsäuße-
rungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, im Recht und der Pflicht
der Kindererziehung, im Eherecht usw. Gestalt annehmen. «Die Aus-
tichtung des ganzen Lebens im privaten wie im öffentlichen Bereich,
in der Familie, im Beruf, in jeglichem Umgang mit andern Menschen
heißt Bekennen» *.
1. Verzicht der Verfassung auf eine nähere Spezifizierung
Die Verfassung verzichtet — mit Ausnahme des. Art. 39 — auf eine
nähere Spezifizierung der Bekenntnisfreiheit. Die Grundlagen, auf
denen die Gemeinschaft und die staatliche Ordnung aufbauen, sind
in den Art. 14 und 15 klar umrissen. In den Rahmen dieser Wertord-
nung, die am christlichen Weltbild orientiert ist, ist auch das Grund-
recht der Bekenntnisfreiheit hineinzustellen. So kann sie nicht auf
eine Leugnung und Ablehnung jedes Glaubens, zu einem Skeptizis-
mus und Nihilismus hinsteuern, nicht zu einem Zwangsrecht umge-
deutet werden, eine Bekenntnisübung zu untersagen, weil aus ihr abge-
leitet werden kann, daß niemand zum Bekenntnis genötigt ist. Nur
wenn und weil im Grundrecht der Bekenntnisfreiheit sich ein Wert,
ein Gemeinschaftsgut entfaltet, hat sie eine Funktion im Aufbau der
Gemeinschaft ?,
Im liechtensteinischen Staatskirchenrecht droht der Bekenntnisfrei-
heit vielmehr von anderer Seite Gefahr, die in der isolierenden Ver-
absolutierung einer Religion besteht 3. ;
2, Die Bestimmung des Art. 39 $. 1
Das Grundrecht schützt die Bekenntnisfreiheit vor rechtlichen Nach-
teilen jeder Art. Diesen Grundsatz streicht Art. 39 S. 1 noch expressis
verbis hervor, indem er den Genuß der staatsbürgerlichen und poli-
rischen Rechte als vom Religionsbekenntnis unabhängig erklärt. Sinn
dieser Bestimmung kann nur sein, die Rechtslage des Staatsbürgers
. HAMeL 61.
‘ So HAMEL 64,
‘ Vgl. weiter hinten II und II.
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