156
Das alles spielte sich aber noch im weitge
spannten Rahmen des Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation ab. Unser Staats
gebiet war bis zum Schwabenkrieg (1499), be
ziehungsweise formell bis zum Westfälischen
Frieden (1648) ganz von deutschen Landen
umgeben. Schon der Friede zu Basel, der
dem Schwabenkrieg ein Ende setzte, brachte
in Wirklichkeit, wenn das auch nicht aus
drücklich erwähnt wurde, die Loslösung der
Schweiz vom Reiche. Im Friedensschlüsse
von 1648 wurde dann diese Ablösung aus
drücklich ausgesprochen. Jetzt war Liechten
stein — damals noch Grafschaft Vaduz und
Herrschaft Schellenberg — eigentliches
Grenzland geworden. Mit der Auflösung
des Reiches im Jahre 1806, also mit der
Erlangung der Eigenstaatlichkeit, löste sich
auch zwangsläufig die letzte Bindung zu
Österreich, die bis dahin in der gemeinsamen
Zusammengehörigkeit zum Reiche bestanden
hatte. Unser Land war tausend Jahre hin
durch wohl ein Bestandteil des Reiches —
lange Jahrhunderte als reichsunmittelbare
Grafschaft und Herrschaft und ab 1719 als
Reichsfürstentum — es gehörte indessen nie
zu Österreich, was öfters übersehen wird.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es auch
im Rheintal große politische Veränderun
gen: 1803 wurde der Kanton St. Gallen aus
einer beträchtlichen Zahl von mehr oder
weniger selbständigen Territorien gebildet.
Unsere direkten westlichen Nachbarn freu
ten sich an der neuerlangten Gleichberechti
gung — große Teile des Kantons St. Gallen
waren bis dahin gemeine Vogteien. Die offi
zielle Bezeichnung des neuen Kantons lau
tete: „Souverainer eidgenössischer Kanton
St. Gallen“. Vorarlberg und Tirol waren
kurz vor der Auflösung des Reiches von
den Bayern besetzt worden und mußten im
Frieden zu Preßburg (1805) von Österreich
an Bayern abgetreten werden. Erst nach
dem endgültigen Sturze Napoleons kamen
die zwei Kronländer zu Österreich zurück.
1938 wurde Österreich gewaltsam dem
Dritten Reiche einverleibt, und damit wurde
Großdeutschland über Nacht wieder unser
Nachbar. Eine etwas ungemütliche Nachbar
schaft bei der stark betriebenen „Heim-ins-
Reich“-Propaganda. Mit dem Wiedererste
hen Österreichs im Jahre 1945 lebten auch
die guten alten nachbarlichen Verhältnisse
wieder auf und seit dem letzten Jahre ist
Österreich wieder ein unabhängiger Staat,
der ähnlich wie die Schweiz seine Neutra
lität erklärte. Unser Land liegt somit heute
zwischen zwei neutralen Staaten, eine Tat
sache, die in ihrer Bedeutung kaum über
schätzt werden kann.
Die im Jahre 1806 erlangte Eigenstaatlich
keit zeigte bald auch ihre Schattenseiten.
Trotz Zugehörigkeit Liechtensteins zum
Rheinbund (1806 bis 1814) und ab 1815
zum Deutschen Bund, machte sich eine zu
nehmende wirtschaftliche Isolierung geltend.
Während sich alle deutschen Gliedstaaten
im deutschen Zollverein vereinigten (1824),
blieb Österreich dieser Vereinigung fern. Es
machte sich die Rivalität zwischen Preußen
und Österreich schon stark bemerkbar, die
dann 1866 zum Kriege und zur Auflösung
des Deutschen Bundes führte. Unser Land
war durch Österreich von den anderen Staa
ten des Deutschen Bundes räumlich getrennt
und konnte daher nicht dem deutschen Zoll-