113
8
schaft aufnimmt. Der Ausländer seinerseits
fühlt sich in kurzer Zeit in unserem Lande
zuhause, wird hier seßhaft und fühlt und
denkt mit den Liechtensteinern.
Der Anfang des 19. Jahrhunderts ist ge
kennzeichnet durch den grenzenlosen Ehr
geiz des Korsen Napoleon. Unter diesem
Ehrgeiz hatten die europäischen Länder
schwer zu leiden. Es seufzten die unter
drückten Völker; es litten unter dem Schwert
des Eroberers die Staaten, die versuchten,
das schwere Joch abzuschütteln. Das Deut
sche Reich war in Auflösung begriffen, als
das kleine souveräne Land Liechtenstein
unter seinem Fürsten Johann L, dem be-
rümten Feldherrn der napoleonischen Krie
ge, sein Wiegenfest feierte.
Obschon Liechtenstein in seinem Bestand
von Napoleon nicht beeinträchtigt wurde,
war das Land durch die Zugehörigkeit zum
Rheinbund (Rheinische Bundesakten vom
12. Juli 1806 / Wiener Kongreß vom 7. De
zember 1813) aktiv an den europäischen
Auseinandersetzungen beteiligt. Insbeson
dere in wirtschaftlicher Hinsicht machten
sich die Kriegsfolgen in Liechtenstein be
denklich bemerkbar. Der Verkehr mit dem
Ausland war sehr gehemmt; die Verbindung
über den Rheinstrom erfolgte durch Fähren,
Brücken fehlten noch und die Straßenver
bindungen waren mangelhaft.
Diese Verhältnisse trugen dazu bei, daß die
Bevölkerung von Liechtenstein (laut Volks
zählung von 1815:6117 Personen, inklusive
137 Ausländer) ihre Hauptbetätigung in der
Landwirtschaft, der Viehwirtschaft, dem
Weinbau und der Fuhrhalterei fand. Der
junge, wilde Alpenrhein brachte dem Lande
viele Sorgen und Mühen, überschwemmte er
doch wiederholt große Teile unserer Heimat.
Bedingt durch die einseitige Beschäftigung
der Bevölkerung brachte es die Entwicklung
des Landes mit sich, daß Liechtenstein Man
gel an Handwerkern aufwies (Schreiner,
Schmiede, Zimmerleute, Schneider usw.).
Wegen der sprachlichen und vertraglichen
Verbundenheit Liechtensteins mit den deut
schen Landen und infolge der persönlichen
Beziehungen des Fürsten zu Österreich war
es naheliegend, daß sich deutsche und öster
reichische Berufsarbeiter in Liechtenstein
niederließen und hier dann in einem Wirt
schaftsraum seßhaft wurden, der ihnen gute
berufliche Möglichkeiten bot und den frü
heren heimatlichen Wirtschaftsverhältnissen
zum mindesten sehr ähnlich war.
In die Zeit von 1820 bis 1850 fällt daher
auch die erste größere Zuwanderung von
Ausländern in das nunmehr selbständige
Fürstentum Liechtenstein, so daß bei der
Volkszählung des Jahres 1852 bei einer Ge
samtbevölkerung von 8421 Personen ein
Ausländerbestand von 223 Personen zu ver
zeichnen war. Eine Ausländerkontrolle
kannte die damalige Zeit noch nicht. Der
hier ansäßige Ausländer unterstand der all
gemeinen, für alle Bewohner gleichermaßen
geltenden zivilrechtlichen Kontrolle, die in
dieser Zeit jedoch streng gehandhabt wurde.
Für die Reisenden war das 19. Jahrhundert
wohl ein goldenes Zeitalter. Visa oder Ein
reiseformalitäten waren unbekannt, die
Freizügigkeit war gewährleistet, sogar der
Reisepaß war nur selten in Gebrauch. Der
Berufstätige war im Besitze eines Wander
buches, in welchem vor allem seine beruf