Schrecklicher Fund
Den Gemsen auf der Spur und nahe an den wildzerklüf-
teten Felsen der Dreischwestern schlich Johann Jäger, das
Jagdgewehr griffbereit, in unwegsamer Wildnis. Er hatte
den hastigen Flug der Bergdohlen beobachtet und auf-
fallend war ihr Gekrächze. Er spähte nun mit noch
grösserer Aufmerksamkeit und vorsichtig tastete er an
Steinbrocken und struppigen Legföhren nach vorwärts.
Als er sich mit der linken Hand abstützen wollte, erschrak
er fast, denn dort lag ein Schuh, abgeschürft und zer-
schunden. Er drehte ihn ein paar Mal um, blickte berg-
aufwärts, dort wo schroffe Felswände fast überhängend
und drohend zum Himmel ragten: «Wenn es möglich
wäre . . . aber das ist ja kaum zum glauben . . .» Er suchte
die nähere Umgebung genauer ab, sein Puls hämmerte
heftiger, denn was er vermutete, erhärtete sich zur Wahr-
heit, denn unweit lag ein zerrissener Kittel. Nach weiterem
Suchen fand er einen zweiten Schuh, doch dieser führte
zu noch schlimmeren Vorstellungen, denn er passte nicht
zum anderen.
Johann hatte bei diesem Anblick die Gamsjagd vergessen,
machte sich eilends den Weg bergab, brachte dort Meldung
an die Landespolizei. Es wurde eine Suchmannschaft
ausgerüstet. Johann zeigte den Weg zum unheimlichen
Ort. Dort fand man weitere Kleidungsstücke. An mensch-
lichen Knochen wurden Dohlen aufgescheucht. Beim
Durchsuchen des schimmlig gewordenen Kittels kamen
Identitätspapiere zum Vorschein. Name und Adresse
konnten entziffert werden. Der Polizei gelang es, mit Inns-
bruck Verbindung aufzunehmen, worauf sich eine Mutter,
sehr in Trauer gestürzt, meldete, zwei Fotos mitschickte
und in einem Brief erklärte, dass ihre beiden Söhne nach
der Schweiz auswandern wollten und dabei dem Zollamt
auszuweichen versuchten und dabei verunfallten. Johann
Jäger hatte die beiden Fotos noch viele Jahre gut sichtbar
auf dem Stubenkasten aufgestellt.
Emil Marxer
nacherzählt von Adolf Marxer