Volltext: Moriz Menzinger 1832-1914, Landschaftsaquarelle

Waldwinkel. durch grünes Buchendickicht die steile 
Felsschlucht hinabklettert. Die meisten Leute jedoch 
sollen es vorziehen, auch für den Abstieg die breite 
Fahrstraße zu benützen, denn die Weingeister von 
Vaduz sind nicht die verlässlichsten Führer über 
abgrundsteile Felspfade. 
Was aber an dem Schlosse nicht mit modernen 
Fensterscheiben und kalkweisser Tünche verneuert ist, 
das giebt noch immer eine kerngesunde, wetterfeste 
Ruine. Da steht vor allem der kolossale Rundbau des 
«Heidenturmes», eine wahre Festungsbastion, Die 
alten Römer sollen ihn gebaut haben, als sie das 
Fürstentum Liechtenstein erobert hatten, hoffentlich 
nach tapferer Gegenwehr der fürstlichen Armee. Aus 
wilden Quaderblöcken ist er aufgebaut, die das Rauhe 
trotzig nach aussen kehren, noch jetzt wo die uralten, 
wilden Weinstöcke baumdick an ihm hinangeklettert 
sind und mit ihrem idyllischen Grün in alle Schießschar- 
ten und niedrigen Kasemattenfenstern hineinwuchern. 
Die wilde Rebe hat ihn erstürmt, den alten Heiden- 
turm, seitdem herrscht drinnen ihre zahme Schwester 
und Gott Bacchus ist Fürst auf Liechtenstein. Die 
anderen Türme und Geschoße sind weniger mächtig; 
sie sind halbzerstört und ganz ausgeräumt und glei- 
chen riesigen Taubenschlägen für Fledermäuse. 
Der Blick hinab von der Brustwehr des Hofes oder aus 
den Fenstern ist sehr schön. Das kleine Vaduz 
entwickelt sich unvermutet, daß es beinahe etwas wie 
Ausdehnung gewinnt, denn nach mehreren Richtungen 
bohrt es sich mit schmalen, krummen Gäßchen in die 
grünen Weinhalden hinein. Weiterhin überblickt man 
das ganze Fürstentum, mit Ausnahme des wilden 
Saminathales, das sich übers Gebirge hinüberge- 
schwungen hat gegen das Vorarlbergische hin. Dort ist 
reine Alpenlandschaft, mit Matten und ein paar 
Sennhütten; dort wohnen die Hinterwäldler von Liech- 
tenstein. 
Wie ein silbergrauer Strich mitten durch das breite Thal 
zieht der Rhein, schnurgerade von Süd nach Nord. In 
seinem steinernen Bette eingedämmt, steht er stel- 
lenweise höher als die Thalsohle. Und von Jahr zu Jahr 
wird sein Wasserstand höher, denn er breitet immer 
neues Geröll über den Grund seines Rinnsals. Jenseits 
ragen die schroffen Kalkhäupter der Appenzeller Berge 
auf, in abenteuerlichen Formen, bald als Kanzel, bald 
als Ambos gestaltet, oder gar wie mit Schießscharten 
durchlöchert, daß der blanke Himmel mitten durch die 
starren Felszacken guckt. Drüben bei Buchs winkt das 
imposante Schloß Werdenberg, weiter rheinaufwärts 
steht auf jähem Felsvorsprung die wetterbraune Ruine 
Wartau wie ein Verzweifelter in Selbstmordgedanken. 
Ihr gegenüber diesseits hacken sich die seltsamen Ab- 
hänge des Fläscherberges senkrecht ab, hinter dem 
nichts Geringeres als eine eidgenössische Festung, 
Luziensteig, eingesenkt ist. Dort macht das Rheinthal 
die Biegung gegen Ragaz hin, um ein neues prächtiges 
Landschaftsbild zu beginnen. 
Es ist still hier oben und freundlich. Nur das laute 
Treiben einiger Kinder, die dem alten Schloßhund das 
Leben sauer machen, weckt die verschlafenen Echos 
des Heidenturmes. Und in der Schweiz und in Oster- 
reich drüben pfeifen Lokomotiven; sie pfeifen entschie- 
den denselben Dialekt.
	        

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