Waldwinkel. durch grünes Buchendickicht die steile
Felsschlucht hinabklettert. Die meisten Leute jedoch
sollen es vorziehen, auch für den Abstieg die breite
Fahrstraße zu benützen, denn die Weingeister von
Vaduz sind nicht die verlässlichsten Führer über
abgrundsteile Felspfade.
Was aber an dem Schlosse nicht mit modernen
Fensterscheiben und kalkweisser Tünche verneuert ist,
das giebt noch immer eine kerngesunde, wetterfeste
Ruine. Da steht vor allem der kolossale Rundbau des
«Heidenturmes», eine wahre Festungsbastion, Die
alten Römer sollen ihn gebaut haben, als sie das
Fürstentum Liechtenstein erobert hatten, hoffentlich
nach tapferer Gegenwehr der fürstlichen Armee. Aus
wilden Quaderblöcken ist er aufgebaut, die das Rauhe
trotzig nach aussen kehren, noch jetzt wo die uralten,
wilden Weinstöcke baumdick an ihm hinangeklettert
sind und mit ihrem idyllischen Grün in alle Schießschar-
ten und niedrigen Kasemattenfenstern hineinwuchern.
Die wilde Rebe hat ihn erstürmt, den alten Heiden-
turm, seitdem herrscht drinnen ihre zahme Schwester
und Gott Bacchus ist Fürst auf Liechtenstein. Die
anderen Türme und Geschoße sind weniger mächtig;
sie sind halbzerstört und ganz ausgeräumt und glei-
chen riesigen Taubenschlägen für Fledermäuse.
Der Blick hinab von der Brustwehr des Hofes oder aus
den Fenstern ist sehr schön. Das kleine Vaduz
entwickelt sich unvermutet, daß es beinahe etwas wie
Ausdehnung gewinnt, denn nach mehreren Richtungen
bohrt es sich mit schmalen, krummen Gäßchen in die
grünen Weinhalden hinein. Weiterhin überblickt man
das ganze Fürstentum, mit Ausnahme des wilden
Saminathales, das sich übers Gebirge hinüberge-
schwungen hat gegen das Vorarlbergische hin. Dort ist
reine Alpenlandschaft, mit Matten und ein paar
Sennhütten; dort wohnen die Hinterwäldler von Liech-
tenstein.
Wie ein silbergrauer Strich mitten durch das breite Thal
zieht der Rhein, schnurgerade von Süd nach Nord. In
seinem steinernen Bette eingedämmt, steht er stel-
lenweise höher als die Thalsohle. Und von Jahr zu Jahr
wird sein Wasserstand höher, denn er breitet immer
neues Geröll über den Grund seines Rinnsals. Jenseits
ragen die schroffen Kalkhäupter der Appenzeller Berge
auf, in abenteuerlichen Formen, bald als Kanzel, bald
als Ambos gestaltet, oder gar wie mit Schießscharten
durchlöchert, daß der blanke Himmel mitten durch die
starren Felszacken guckt. Drüben bei Buchs winkt das
imposante Schloß Werdenberg, weiter rheinaufwärts
steht auf jähem Felsvorsprung die wetterbraune Ruine
Wartau wie ein Verzweifelter in Selbstmordgedanken.
Ihr gegenüber diesseits hacken sich die seltsamen Ab-
hänge des Fläscherberges senkrecht ab, hinter dem
nichts Geringeres als eine eidgenössische Festung,
Luziensteig, eingesenkt ist. Dort macht das Rheinthal
die Biegung gegen Ragaz hin, um ein neues prächtiges
Landschaftsbild zu beginnen.
Es ist still hier oben und freundlich. Nur das laute
Treiben einiger Kinder, die dem alten Schloßhund das
Leben sauer machen, weckt die verschlafenen Echos
des Heidenturmes. Und in der Schweiz und in Oster-
reich drüben pfeifen Lokomotiven; sie pfeifen entschie-
den denselben Dialekt.