Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2000) (99)

REZENSIONEN / «SPUREN SUCHEN, DIE ZUM WAHN- SINN DER SHOAH FÜHRTEN ...» SCHNITTSTELLEN: STIMMEN ZUM ZEIT- GESCHEHEN 1933 BIS 1945 Wie reagierten die Schweizer Katholiken, als ab 1933 die Judenverfolgung in Hitlerdeutschland ein- setzte, und wie veränderte sich ihre Haltung bis 1945? Altermatt untersuchte hierzu ausgewählte katholische Presseorgane für die vier Schlüsseljah- re 1933, 1938, 1942 und 1944. Zwei Grundhaltun- gen lassen sich feststellen. Die erste ist jene der Mehrheit der Katholiken: Sie hiessen die restriktive Flüchtlingspolitik der eidgenössischen Behörden gut, lehnten den rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten ab, kritisierten die Judenverfol- gung. Aber in der Argumentation verwendeten sie antijüdische Stereotypen, die allerdings im Laufe des Zweiten Weltkriegs zusehends tabuisiert wur- den. Öffentlich während des Krieges Hitlerdeutsch- land zu kritisieren, hielt man wie die Behörden nicht für klug. Und die totalitären Regime wurden von der Mehrheit der Katholiken nicht so sehr da- nach beurteilt, wie sie mit den Juden umgingen, sondern wie sie die Kirche behandelten. Die zweite Grundhaltung war jene einer Minder- heit unter den Schweizer Katholiken. Sie kritisier- ten den Nationalsozialismus, die Judenverfolgung und den Rassen-Antisemitismus scharf - im Krieg dann durch die Pressezensur zurückgebunden -, ebenso kritisierten sie die behördliche Flüchtlings- politik und forderten offenere Aufnahme. Sie lehn- ten auch den «erlaubten» Antisemitismus ab. Zwar hielten auch sie an gewissen Bedenken gegen das Judentum fest, Bekehrung aller Juden blieb den Katholiken ein generelles Ziel. Altermatt konstatiert für 1933 noch eine be- trächtliche Bandbreite der Meinungen, für 1938 dann nicht unerwartet eine Zunahme der «morali- schen Nachdenklichkeit». Im Jahr 1942, als die Schweizergrenze zeitweilig für Flüchtlinge ganz ge- schlossen wurde, zeigen die Quellen eine teilweise Tabuisierung der sogenannten «Judenfrage», 1944 aber einen Umschwung der Stimmung, die sich nun in Protesten gegen die Judenverfolgungen in Ungarn äusserte. 
FÜR DIE STUBE Was für Meinungen wurden über katholische Zeit- schriften für das Gespräch zu Hause geliefert? Die Analyse der verbreiteten Familienzeitschrift <Der Sonntag> und der katholischen Boulevard-Illustrier- ten <Die Woche im Bild> ergab überwiegend «gros- ses Schweigen» zur Flüchtlingspolitik und zur Ju- denverfolgung, vereinzelt auch antisemitische Kom- mentare von Pfarrern. Dagegen brachte das monat- lich erscheinende Frauen- und Mütterblatt <Die Katholische Familie> - wider Erwarten des Autors - praktisch keine antisemitischen Artikel und auch keine antijüdischen Stereotypen; thematisiert aber wurde der «Rassen»-Antisemitismus oder der Anti- semitismus nicht. Doch beschäftigte sich <Die Ka- tholische Familie> in den Kriegsjahren mit der Flüchtlingsfrage und verlangte ein grosszügiges Ver- halten gegenüber den Flüchtlingen; hierbei unter- schied sie indes, dem konfessionellen Muster fol- gend, zwischen israelitischen, protestantischen und katholischen Flüchtlingen. BEDRÜCKENDES FAZIT Altermatt kommt nach der Analyse der drei po- pulären katholischen schweizerischen Familien- zeitschriften zum bedrückenden Fazit: «Keine christliche Gewissensbildung für die verfolgten Ju- den». Und bei allen sorgfältigen und notwendigen Differenzierungen, die im Schlusskapitel nochmals vertieft sind - etwa dass der katholische Antisemi- tismus nicht vom Rassismus, aber von einem «Kul- turalismus» geprägt war -, kommt der Autor für die ganze Untersuchung des Verhältnisses von Katholi- zismus und Antisemitismus in der Schweiz zum Er- gebnis: «Die fehlende Solidarität mit den verfolgten Juden ist eine fast durchgängige Konstante. War zwar Empörung für die von den Nationalsozialisten verfolgten Juden zu vernehmen, so blieb man in der Regel kühl, wenn es um die vom Alltagsantisemitis- mus bedrohten jüdischen Schweizer oder um die an den Grenzen der Schweiz stehenden jüdischen Flüchtlinge aus ganz Europa ging.» (S. 310). Das er- 273
	        

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