Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2000) (99)

GESCHICHTLICHES WIRD «ABWEGIG» Mittelpunkt des Weilers Rofaberg ist, am Schnitt- punkt dreier Wege, die spätgotische Heiligkreuz- Kapelle. Hier verlief der alte Pilgerweg über die Kuppen des Eschnerbergs, von Feldkirch und Tos- ters her, über Mauren und Eschen, hinunter nach Bendern, über den Rhein, nach Einsiedeln, Le Puy, bis nach Santiago de Compostela in Galicien, wo sich das Grab des heiligen 
Jakobus befinden soll. Peter Gilgen würdigt diesen historischen Ort ober- halb von Eschen: «Die Intensität des Ortes gibt dem Landstrich den Zusammenhang einer Landschaft - politisch nicht weniger als geographisch. Hier auf Rofaberg war der Gerichtsort, lange bevor die Fürs- ten von Liechtenstein diese untere Landschaft er- warben, und der Hort des Widerstandes gegen die Entrechtung. Hier wird die Einheit der Landschaft sinnfällig» (S. 58). · Die ursprüngliche «räumliche Komposition der Landschaft» wurde jedoch zerstört «durch die An- lage einer neuen Strasse und die Amputation der Widengasse», eines der drei alten Zugänge nach Rofaberg. Dadurch ist «das Anwesen des Ge- schichtlichen an diesem ausgezeichneten Ort ... im wörtlichsten Sinn abwegig geworden». Abseits des neuen Weges sei das Ensemble mit der Kapelle zum leblosen Monument erstarrt (S. 62 f.). 
Und der Autor ergänzt: «Es scheint, als habe hier das Un- terland sich seines Eigensten entledigt, des Ortes, an den jede Rede von der Identität dieser Land- schaft, ob geographisch, ob historisch, zurückzu- kehren hätte . . . Das Abwegige der Landschaft selbst, ihre Randlage, das Verlangsamende, der bis in unser Jahrhundert reichende Widerstand gegen die aus der Ferne ausgeübte Zentralgewalt sind hier verworfen». Die «gewalttätige Streckenfüh- rung» sowie die «trostlos anmutende, breit planier- te Monotonie der Strasse» (S. 63) vertusche die sichtbaren Zeichen einer historischen, gewachse- nen Kulturlandschaft. Erinnerung an geschichtlich Gewordenes und Zusammenhängendes würde so erschwert, 
wenn nicht gar verhindert. 
REZE SIONE TERLANDSCHAFT VO DER GESCHICHTS-ZUR GESICHTS- LOSIGKEIT Ein anderer Ort der Abwegigkeit entstand, wie Pe- ter Gilgen ausführt, am südlichen Dorfrand von Eschen. Hier, wo früher eine Kreuzung war, gebe es jetzt einen Verkehrskreisel mit einer Tankstelle: Es sei «ein 
anderer Ort geworden, nurmehr zum Durchgang bestimmt, zur schnellen Zwischenstati- on, 
wenn das Benzin zur eige geht. Dieser Ort ist nicht einmal mehr am Rande: Seine Abwegigkeit liegt darin, dass er so weggerecht gemacht wurde, dass nichts mehr von ihm blieb» (S. 43). Gefahr, so der Autor, drohe von innen, von der zunehmenden «Unbestimmtheit des Dorfes» (S. 38). Auch die Aussage 
einer Frau aus Ruggell deute in diese Richtung: «Die Leute im Dorf sind wortlos ge- worden .... Auseinandersetzungen können ... kaum noch geführt werden. Wenn einer nicht über- einstimme und Bedenken äussere, dann werde das Wort dem Uneinsichtigen entzogen, oder er werde überhört. Es bestehe kein Bedürfnis mehr zu ant- worten. Man rede immer weniger miteinander, auch innerhalb der Familien. Es isch kon Umgang meh» (S. 38 f.). Dass dieser Mangel an Umgang und Kommuni- kation mit 
der immer grösser gewordenen Motori- sierung und Mobilität der Bevölkerung, aber auch mit dem rasant gestiegenen Lebensstandard («man ist auf niemanden mehr angewiesen») in einem Zu- sammenhang stehen könnte, wird nicht explizit ausgesprochen, ist aber aus dem Gesagten leicht herauszulesen. DIE OFFE HEIT DES RIETS «Unterlandschaft» befasst sich auch mit den zahl- reichen landschaftlichen Schönheiten. Peter Gilgen schildert viele Beobachtungen, die den Leser und die Leserin einladen sollen, selbst auf Entde- ckungsreise zu gehen. Das Unterland bestehe ei- nerseits 
aus dem Rietboden und andererseits aus dem Höhenzug des Eschnerbergs, der den Talbo- den durchquere. Interessant sei auch, wie histori- 263
	        

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