Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2000) (99)

FL-PFADFINDERSCHAFT UND JÜDISCHE KINDER ZUR ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS / KLAUS BIEDERMANN ET AL. RESULTATE FÜR DAS PFADFINDERKORPS ST. GEORG Beim Pfadfmderkorps St. Georg betrifft der Vor- wurf, dass jüdischen Buben die Aufnahme verwei- gert worden sei, nur die Abteilung Schaan. Hierbei dürfte es sich um eine Einzelentscheidung des da- maligen Abteilungsleiters handeln. Fritz Baum hat sich uns gegenüber in seinem Brief vom 14. Januar 19983r> dahingehend geäussert. Interview-Aussa- gen anderer ehemaliger Pfadfinder und Pfadfmder- führer bestätigen dies. Das Argument, mit dem der Schaaner Abtei- lungsleiter sich weigerte, die zwei Brüder Fritz und Heinz Baum36 in die Pfadfindergruppe aufzuneh- men, zeugt von einer intoleranten religiösen Hal- tung: Die Pfadfinder seien ein christlicher Verband, da hätten jüdische Kinder keinen Platz.37 Sie nimmt damit die 1938 von Prinz Emanuel von Liechten- stein erteilte Anweisung in radikalerer Form wie- der auf. Diese intolerante religiöse Einstellung haben wir sonst nirgends feststellen können.3S Der erwähnte Schaaner Abteilungsleiter galt als jemand, der die Gruppe sehr militärisch führte. Auch die Korpslei- tung hat mit grösster Wahrscheinlichkeit nichts von diesem Vorgang gewusst. Wie schon beim Pfadfinderinnenverband stellte sich auch bei den Buben die Frage betreffend Auf- nahme von jüdischen Kindern in den meisten Ge- meinden gar nicht. Wie wir von der Podiumsdis- kussion, von Ernst Posener und indirekt über Adulf Peter Goop aber wissen, war es in Mauren selbst- verständlich, dass Ernst Posener und später seine Schwester Lilli aktiv bei der dortigen Gruppe mit- machten und dabei an der jüdischen Herkunft der beiden Kinder kein Anstoss genommen wurde. 
ZUSAMMENFASSUNG Gemäss den erhobenen Informationen aus Archi- ven, Literatur und Interviews lassen sich zusam- menfassend vier wesentliche Ergebnisse festhalten: Es muss klar zwischen Mädchen- und Knabenver- band der Pfadfinderschaft unterschieden werden. Ausserdem konzentriert sich die Ausschlussproble- matik allein auf die Abteilungen Vaduz und Schaan. Beim Pfadfinderinnenverband wurde den Eltern jü- discher Mädchen von seiten der Korpsführerin, Gräfin Louisanne von Galen, nahegelegt, ihre Kin- der aus der lokalen Gruppe herauszunehmen. Dass der offizielle Mädchenverband vom Tun seiner Korpsführerin gewusst hat, ist anzunehmen. Die Beweggründe der Korpsführerin zu diesem - zu- mindest aus heutiger Sicht - mehr als fragwürdi- gen Schritt können nicht mehr sicher eruiert wer- den. Einzelne Eltern nichtjüdischer Mädchen schei- nen auf sie eingewirkt zu haben, vielleicht auch po- litische Kreise. Antisemitische Einstellungen hatten dabei wohl weniger Gewicht als vielmehr die Angst vor tätlichen Übergriffen von nationalsozialisti- schen Kräften. Befürchtet wurden generell natio- nalsozialistische Gewaltakte gegen Pfadfinderinnen und Pfadfinder unter antisemitischen Vorzeichen. Beim Knabenverband hingegen muss die Weige- rung, jüdische Buben in die Pfadfinderschaft aufzu- nehmen, als einsamer Entscheid eines Abteilungs- leiters angesehen werden. Ob der offizielle Pfadfin- 33) Zu den Interview-Partnerinnen und -Partnern siehe Anmer- kung 11. 34) Zur Person der Gräfin Louisanne von Galen, Prinzessin von und zu Liechtenstein, vgl. auch EinTracht, Ausgabe Nr. 6 (Staatsfeiertag 1994). S. 3. 35) Vgl. Anmerkung 10. 36) Die Familie Baum ist 1942 von Eschen nach Schaan gezogen. 37) Interview mit Fritz Baum. Vaduz. 5. November 1998. 381 Dies einmal abgesehen vom Fall Isenberg, der eingangs skizziert wurde und als besondere Konstellation zu betrachten ist. Die Agitation gegen Isenberg erfolgte ja auch nicht primär aus religiösen Motiven oder Einstellungen. 227
	        

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