Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2000) (99)

FL-PFADFINDERSCHAFT UND JÜDISCHE KINDER ZUR ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS / KLAUS BIEDERMANN ET AL. len Bericht ganz hübsch im Hintertreffen und natürlich auch schon wieder wie letztes Jahr [kommt] von da oder dort der Vorwurf von uns er- fahre nur die Nazi-Zeitung24 etwas. Die Handlungsweise Müssners in Wien und betr. die Artikel widerspricht dem Pfadfindergesetze und dem Pfadfinderg eiste in allen Teilen und auf der ganzen Linie; ich beantrage, Müssner aus dem Korps auszuschliessen. Er hat gegen das aus- drückliche Verbot gehandelt und überhaupt muss dieser Maulwurfsarbeit ein Riegel geschoben wer- den.»25 Marzell Sele schrieb auch, dass er sich - wie Ale- xander Frick - «eine geeinte Schar von Pfadfin- dern» wünsche, «so wie sie Baden-Powell26 will, nicht wie Vogelsang». Gemeint war damit, dass diese Schar von Pfadfindern ohne «die überblei- benden 10 Nazi-Pfadfinder» weiter existieren soll- te.27 Damit wird deutlich, dass es innerhalb der Pfadfindergruppen zumindest in den Anfangsjah- ren durchaus NS-Sympathisanten gab. Es gab aber auch vehementen Widerstand gegen nationalsozia- listisches Gedankengut. Doch wie war nun konkret der Umgang mit jüdi- schen Kindern, die Mitglieder der Pfadfinder/innen waren oder es werden wollten? Der obige Bericht von Vogelsang - verfasst wohl aufgrund von Anga- ben August Müssners - ist gerade auch vor dem Hintergrund eines Rechtsstreites zu sehen, den Vo- gelsang mit dem Vater von Helmuth Isenberg da- mals austrug. Sally Isenberg, der Vater, hatte gegen Vogelsang wegen dessen antisemitischer Agitation zwei Strafklagen eingereicht;28 was Vogelsang erst recht motivierte, um Material zu sammeln, welches Isenberg belasten sollte. Von besonderem Interesse für unsere Frage ist aber die von Vogelsang zu Be- ginn seines Berichts gemachte Feststellung, man könne Isenberg nicht ins Pfadfinderlager mitkom- men lassen, weil er Jude sei. Stand da tatsächlich eine Regelung oder Richtlinie des Pfadfinderver- bandes dahinter? Die Interviews mit den Zeitzeu- gen, aber auch die spärlichen Hinweise in den Quellen sowie in der Literatur deuten darauf hin, dass antijüdisches Verhalten bei den Pfadfmderin-nen 
und Pfadfindern eher die Ausnahme und wohl kaum verordnete Verbandspolitik war. Nicht-katholische Kinder waren aber grundsätz- lich in einer gewissen Aussenseiter-Position. Eine Anweisung des Korpsführers Prinz Emanuel von 13) LLA RF 156/067: Satzungen des Liechtensteinischen Pfadfmder- korps St. Georg. 1935, Artikel 3. Dieser Artikel ist auch publiziert in: 50 Jahre Pfadfinder, S. 23. 14) Vogelsang war Redaktor der Zeitung des Heimatdienstes, welche wie die Organisation den Namen «Liechtensteiner Heimatdienst» trug. 1936 wurde er dann Redaktor des «Liechtensteiner Vaterlan- des», des Presseorgans der aus der Fusion von «Christlich-sozialer Volkspartei» und «Liechtensteiner Heimatdienst» entstandenen «Vaterländischen Union». 1937 schliesslich flog Vogelsangs Spitzel- tätigkeit für reichsdeutsche Stellen auf; mit bereitwilliger Unterstüt- zung seiner Parteifreunde Alois Vogt und Otto Schaedler gelang ihm die Flucht aus Liechtenstein. 15) LLA RF 137/296: Brief von Alexander Frick an die Regierung, datiert vom 26. November 1933. - Vgl. auch Biedermann, Heimat- dienst. 16) LLA RF 137/296. 17) Mündliche Mitteilung von Peter Geiger, Schaan. 18) Helmuth Isenberg wurde am 15. Juni 1919 in Saarbrücken geboren. - Betreffend die Teilnehmer des Pfadfinderlagers vgl. Schreiben der Fürstlichen Regierung vom 10. Juli 1936, gezeichnet Ferdinand Nigg, in welchem die Delegation für das Jubiläumslager in Laxenburg bestätigt wird. 19) Geiger, Krisenzeit 1, S. 442 und 448. Isenberg war bis 1928 Direktor der Saarbank, lebte von 1931 bis 1938 als Privatier mit Frau und Kindern in Vaduz. 20) LLA RE 169/170/82. - Vgl. auch: Biedermann. Heimatdienst. 21) Siehe auch Anmerkung 18. Liste der Lagerteilnehmer. 22) Geiger, Krisenzeit 2, S. 199 f. Müssner war später freiwilliges Mitglied der Waffen-SS. 23) Im LVaterland erschien aber lediglich ein Bericht über das Lager in Laxenburg am 29. Juli 1936. Das LVolksblatt berichtete über das Lager am 8. August 1936. Dieser (unverfängliche) Bericht ist auch abgedruckt in: 50 Jahre Pfadfinder in Liechtenstein. S. 24 f. 24) Im Jahre 1935 betraf dies noch den «Liechtensteiner Heimat- dienst», 1936 konnte damit nur das «Liechtensteiner Vaterland» gemeint sein (vgl. Anmerkung 14). 25) APPL, Schreiben von Marzell Sele, 4. August 1936. 26) Gemeint ist Lord Baden-Powell (1857-1941), der Gründer der weltweiten Pfadfmderbewegung. 27) APPL, Schreiben von Marzell Sele, 4. August 1936. 28) Geiger, Krisenzeit 1. S.441-449. 223
	        

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