Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2000) (99)

REVOLUTION UND UMBRUCH IN DER SCHWEIZ Während Liechtenstein vorerst in diesen Struktu- ren verharrte, wurden die Verhältnisse in Frank- reich seit 1789 im Gefolge der Französischen Revo- lution umgewälzt. In ihren Sog geriet alsbald ganz Europa. Die seit 1792 provozierten Kriege der Ko- alition europäischer Mächte gegen Frankreich ris- sen ganz Europa in den Kriegsstrudel, vermochten es aber nicht, der expansiven Kraft von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit mehr als das Bisherige entgegenzusetzen. Die schweizerische Eidgenos- senschaft wurde davon ergriffen, das alte brüchige System brach sang- und klanglos in sich zusam- men.10 Die Ideen der Revolution drangen schliess- lich auch ins Alpenrheintal. 1798 vollzogen sich in der liechtensteinischen Nachbarschaft im Westen und Süden, im Rheintal, in Werdenberg, Wartau, Sargans, in der Fürstabtei Pfäfers und in der Herr- schaft Maienfeld tiefgreifende Veränderungen." Im gleichen Jahr führte die Expansionspolitik der Französischen Republik zur Bildung der Zwei- ten Koalition, welcher Russland, Österreich, Eng- land, die Türkei, Portugal, Neapel und der Kirchen- staat angehören. Es ging den führenden europäi- schen Mächten darum, Frankreich auf den Gebiets- stand von 1789 zurückzudrängen und dort die Monarchie wiederherzustellen. Neben Süddeutsch- land und Italien wurde auch die Schweiz Kriegs- schauplatz.12 Liechtenstein und die Region zwi- schen Feldkirch und der St. Luzisteig wurden ein Zentrum der Auseinandersetzung.13 Die Gebiete la- gen in einem militärischen Durchzugsgebiet, des- sen Einwohnerschaft vom Militär für Unterstüt- zungsarbeiten rekrutiert und für Hilfeleistungen herangezogen wurden. Viele stellen sich die Schweiz in der Regel vor als einen wehrhaften Staat, der in der Lage sei, Krieg von seinem Territorium fernzuhalten. Am Ende des 18. Jahrhunderts bot sich die Eidgenossenschaft indes als ein Land dar, das an einem modernen Be- griff von Souveränität nicht gemessen werden kann. Die Schweiz war morsch, der Staat vollstän- dig von Frankreich abhängig - auch Österreich 
führte ungestraft militärische Aktionen auf eid- genössischem Gebiet durch. Während im ersten Koalitionskrieg von 1792 bis 1797 nur Gebiete ent- lang der nördlichen Rheingrenze betroffen waren, griff Frankreich 1798 die Schweiz direkt an. Im Herbst hatten die Franzosen die Ostschweiz und das Rheintal erreicht und besetzten das linke Rheinufer von der Graubündner Grenze bis zum Bodensee.14 In der Schweiz, bisher ein Geflecht von dreizehn souveränen Orten, verschiedenen Bünd- nispartnern und Untertanengebieten, entstand ein moderner Einheitsstaat, die Helvetische Republik, bestehend aus gleichberechtigten Kantonen. Die Gebiete der an Liechtenstein grenzenden Schweizer Nachbarschaft waren bis dahin Unter- tanenland oder Gemeine Herrschaften eidgenössi- scher Kantone beziehungsweise der Drei Bünde ge- wesen. Seit dem Frühjahr 1798 jedoch, noch vor dem Einmarsch der Franzosen, begannen sich die Freiheitsbestrebungen durchzusetzen. Die Unterta- nenschaften wurden beseitigt und demokratische Rechte eingeführt. Sargans, Werdenberg und Sax konstituierten sich im Frühjahr 1798 als Freistaat oder als Republik, bis sie im kurzlebigen Kanton Sargans, dann im 1798 geschaffenen helvetischen Kanton Linth und 1803 schliesslich im neu gegrün- deten Kanton St. Gallen aufgingen.15 Auch Graubünden geriet mehr und mehr ins Blickfeld der Grossmächte.16 Frankreich drängte den Freistaat der Drei Bünde zum Anschluss an die helvetische Republik, Österreich seinerseits wollte seinen Einfluss nicht aufgeben. Die Herrschaft Rhäzüns - die Dörfer Domat/Ems, Felsberg, Bona- duz und Rhäzüns mit dem Schloss - gehörte ja immer noch Österreich, und als Rechtsnachfolger der Freiherren von Rhäzüns war der Kaiser ein Haupt des Oberen Bundes mit all den dazu gehö- renden Rechten. Er gebot auch über die Herrschaft Tarasp und übte die Schirmvogtei über das Frau- enkloster Münster (Müstair) sowie das Hochstift Chur aus. Gründe für eine nachdrückliche Einmi- schung Österreichs gab es also genug.17 Auf Druck Wiens ersuchten die Bündner Häupter den Kaiser um Hilfe. Am 18. Oktober 1798 marschierten die ersten österreichischen Truppen ein. Graubünden 184
	        

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