Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1999) (98)

«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH 
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER 
Arbeitsamtsfunktionär auf Anfrage erfahren, dass 
Hitler nach dessen Erachten an «traumatischer 
Neurose» leide.!® Der Führer stehe angeblich un- 
ter psychiatrischer Beobachtung. 
Alle mit dem Putschversuch konfrontierten Ent- 
scheidungsträger in Bern, Berlin, Vaduz und im 
Gau Vorarlberg-Tirol waren an einer möglichst un- 
auffälligen Abwicklung der Vorgänge vom 24. März 
interessiert. Die publizistische, rechtliche und poli- 
tische Durchführung dieses diplomatischen Vorsat- 
zes dauerte in einer ersten Phase bis in den April 
1939. Die deutschen Stellen hielten sich hierbei an 
zwei liechtensteinische Gesprächspartner, an Re- 
gierungschef Hoop und dessen Stellvertreter Vogt 
In einer deutschen Darstellung der Putschereig- 
nisse, dem Bericht des VOMI-Leiters, SS-Obergrup- 
penführer Werner Lorenz,!® erscheint Vogt als 
jener Vertrauensmann, der seinem Gesprächspart- 
ner Günther Stier, dem VOMI-Referenten für Liech- 
tenstein, Zusagen machte. Vogt, so der Lorenz- 
Bericht, werde sich für die rechtliche Schonung der 
Putschbeteiligten einsetzen. Beim Fürsten bestün- 
de Amnestiemöglichkeit. «Verhandlungen durch 
Mittelsleute schweben noch», bemerkte Lorenz. Zu 
einer dieser Verhandlungen ist uns im Vorarlberger 
Landesarchiv (VLA) ein Dokument überliefert.!* Es 
handelt sich um die Aufzeichnung eines deutschen 
Unterhändlers, welche dieser nach Besprechung 
mit «Reg. Chef Dr. Hob» an seine vorgesetzte Stelle 
in Berlin sandte. Hoop wurde ähnlich Vogt vom 
deutschen Wunsch verständigt, die Strafverfahren 
gegen die Putschisten niederzuschlagen und auch 
die nach Vorarlberg geflüchteten Beteiligten unbe- 
helligt zu lassen. Hoop erwiderte, dass ihm und 
«einem grössten Teil der Regierungsmitglieder» 
daran gelegen sei, dass die Angelegenheit in der 
gewünschten Form bereinigt werde. Der Regie- 
rungschef präzisierte, dass er dies nicht allein ver- 
fügen könne, auch Regierungsrat Pfarrer Anton 
Frommelt müsse zustimmen, ansonsten, So wird 
nach Berlin berichtet, drohe «schwere Hetze gegen 
Hob und Vogt» durch Frommelt, der «überhaupt 
der Scharfmacher gegen die Nationalsozialisten» 
sei. Hoop schlug dem deutschen Gesprächspartner 
vor, ihn in Vaduz zu besuchen, «wo wir zusammen 
mit dem Richter über die Möglichkeiten einer Nie- 
derschlagung der eingeleiteten Strafverfahren re- 
den könnten.»!°® 
Yoop und Vogt blieben mit der stillen Abwick- 
‚ung der Putschereignisse weiterhin befasst, be- 
schwichtigten bezüglich der Rechtsfolgen, verhiel- 
ten andererseits die Vorarlberger Behörden zur 
Unterbindung künftiger Übergriffe.!°** Der Fürst zog 
mit, sprach im Mai 1939 von der Verzögerung und 
schliesslich Niederschlagung des Verfahrens, für 
die Untersuchungen stellte er einen entsprechend 
verschwiegenen Richter in Aussicht.'® Im Dezem- 
ber 1939 wurden die Klageschrift gegen die liech- 
tensteinischen Putschistenführer abgemildert und 
— mit Rücksicht auf Hitlerdeutschland —- der Prozess 
suspendiert.!® Die Weichen hierzu waren freilich 
schon bald nach dem 24. März gestellt worden. 
Regierungschef Dr. Josef Hoop und sein Stell- 
vertreter Dr. Alois Vogt rücken in den Quellen zum 
Putschversuch 1939 näher zusammen: im Rückgriff 
94) Ebenda., 
95) Geiger: Krisenzeit 2. S. 346-408. 
96) VLA Präs. 373/39, 25. März 1939: Bericht Landrat Dr. Ignaz 
Tschofen an Gauleitung Innsbruck, u. a. über die Vorsprache Vogts 
und die darauffolgende Warnung der SA-Leitung Feldkirch. 
97) LLA O0. S. Sammelakt NS, Manuskript Schreieder, 17. Juni 1968. 
Der Deutsche Josef Schreieder war nach dem Anschluss Österreichs 
bei der Grenzpolizei (Gestapo) in Vorarlberg tätig. Im August 1940 
wurde er zum SD in den Niederlanden versetzt, wo er an der Zer- 
schlagung niederländischer Widerstandsgruppen gegen die deutsche 
Besatzung mitwirkte. 
98) Geiger: Krisenzeit 2, S. 390. 
99) Vogt fuhr nachts ein zweites Mal nach Feldkirch, um sich zu 
vergewissern, dass die Zusage der Vorarlberger Behörden, national- 
sozialistische Grenzübergriffe zu verhindern, wirksam wurde; siehe 
PAAV/523 Zeugenaussage Alois Vogt, 15. Januar 1946, S. 12“ 
L00) PAAV/606, 15. April 1947: Schreiben Dr. Max Knözinger betr. 
21. Oktober 1938. 
101) ADAP D VI 141., 31. März 1939: Bericht Lorenz (VOMD. 
102) VLA Präs. 373/39 undat. Aufzeichnung nach 27. März 1939 
103) Ebenda. 
104) Weitere Akten in VLA Präs. 373/39. 
105) Akten PK NSDAP Teil II Reg. Bd. 3, Dok. Nr. 022149 f. 
106) Geiger: Krisenzeit 2, S. 404-408.
	        

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