ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Ein bau- und architektur-
historischer Rundgang
Der Gasthof Löwen in Vaduz zählt mit seiner über
600-jährigen Geschichte zu den ältesten Wohnbau-
ten Liechtensteins, und mit seiner breiten Palette
bautechnischer und kunsthandwerklicher Elemen:-
te zugleich zu den architekturhistorisch bedeutend-
sten. Mit der Renovation von 1987/89 erfüllt das
Objekt betriebstechnisch und gestalterisch neueste
Bedürfnisse, wie sie Gasthöfe der gehobenen Mit-
telklasse auszeichnen.
Das Äussere des markanten Gebäudekomplexes
repräsentiert die Erneuerung und Aufstockung des
Gasthofes 1786 in spätbarocker Gestaltung durch
den erst 23-jährigen Johann Rheinberger sowie
dessen Ökonomietrakt-Neubau von 1804. Das brei-
te Mansarddach —- dessen Ursprünge liegen im
Paris des 17. Jahrhunderts - gewann vor allem im
ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert
in der spätbarocken Architektur der Ostschweiz für
kurze Zeit an Beliebtheit und kehrte gegen Ende
des 19. Jahrhunderts im Zuge des Französischen
Neubarocks nochmals zurück. Im Fürstentum
Liechtenstein liegt ausgeprägte barocke Wohn-
haus-Architektur nur spärlich vor. Die Fensteröff-
naungen des Erd- und ersten Obergeschosses ent-
stammen in ihrer Verteilung vor allem dem 17. und
18. Jahrhundert, die charakteristische Sprossen-
fenster-Teilung jedoch der Erneuerung von 1786.
Der Löwen gehört hierzulande zu den ersten mit
Sprossenfenstern —- diesen seit 1750 ebenfalls von
Frankreich her kommenden «neuen Gläsern» -
ausgestatteten Bauten an Stelle der seit dem 15.
Jahrhundert verwendeten, weniger lichtdurchlässi-
gen, mundgeblasenen Butzenscheiben. Der Ökono:
mietrakt veranschaulicht mit seiner Erscheinung in
der weitestgehend originalen Architektur von 1804
mit den einst geräumigen Pferde- und Viehstallun-
gen und der mächtigen Heuscheune einerseits die
damalige überragende wirtschaftliche Bedeutung
des Löwen in einer Zeit grosser und prekärer Ver-
armung der Landbevölkerung - Johann Rheinber-
ger war 1807, mittlerweite 44-jährig, der grösste
Liegenschaftenbesitzer in Vaduz —, andererseits die
grosse Bedeutung des Pferdes im Handels- und Rei-
severkehr im ausgehenden 18. und 19. Jahrhun-
dert mit entsprechenden Stallungen und Futter-
vorräten entlang der zwischen 1770 und 1786 zur
Fahrstrasse ausgebauten «Deutschen Strasse».
Die kürzlich erfolgte Renovation macht sich vor
allem in der Detailausführung bemerkbar. Zu Guns-
ten einer besseren architektonischen Erscheinung
ist südostseits der verglaste Verandaanbau von
1952 ersatzlos abgebrochen worden. Alle teils bis
200-jährigen Sprossenfenster, mit den zugehörigen
zeittypischen, hölzernen Mittelpfosten und Fens-
;erkreuzen —- als nicht unwichtige Architekturele-
nente - sind durch Isolierfenster ersetzt. Über den
einstigen Stalltüren fehlen seit 1989 die für deren
Bauzeit von 1804 d charakteristischen Oberlichter,
die handgeschmiedeten Stallfenstergitter sind durch
.ndustriell gefertigte ausgewechselt.
Jer Innenausbau der Gasträume ist 1987/89
ınter weitgehender Erhaltung der historischen
Raumstrukturen beinahe vollständig erneuert wor-
den, trifft aber mit seiner bunt historisierenden
Gestaltung in qualitätvoller Ausführung und der
gekonnt gewählten, vielfältigen Möblierung zwei-
fellos den Geschmack und die Zustimmung einer
breiten Gästeschar - und wäre eine eigene kunst-
geschichtliche Würdigung wert!
Die Gewölbekeller zeigen sich im Grossen und
Ganzen nach wie vor im Kleide des ausgehenden
14. Jahrhunderts.
Im Erdgeschoss vermag von der alten Sub-
stanz vor allem die stark ausgetretene, 600-jährige
Serpentinschwelle zur heutigen Küche zu beein-
drucken. Die Räume 15, 16, 17 und 18 zeigen die
Holzbalkendecke von 1666 d mit eingeschobenem
Schrägboden, nun gereinigt und partiell braun
überstrichen. Die einstige Rundbogentür des 14.
Jahrhunderts von Gang 11 in den mit einem Kreuz-
gewölbe überspannten Raum 13 vertritt nun als
Wandnische beispielhaft das ursprüngliche tuffstei-
nerne Rundbogen-Türgewände romanischer Ma-
nier aus der Zeit um 1380. In der Gaststube erin-
nert die versetzte Wandmalerei mit der «Anbetung
33) Frommelt, Hansjörg: Winzerhäuser und Torkelbauten in Vaduz.
in: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzergenossenschaft. Vaduz, 1996,
S. 145.