Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1999) (98)

LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ 
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER 
Hauptverhandlung. Auditor war Major Paul Popp, 
St. Gallen. Jeder Angeklagte hatte einen Verteidi- 
ger. Für Alfred Quaderer amtete der St. Galler Dr. 
Rolf Zollikofer, Rapperswil, als Pflichtverteidiger. 
Dem Territorialgericht 3b gehörten sieben Richter 
an, alles Militärpersonen. Vorsitzender «Grossrich- 
ter» war ein hoher Offizier, in diesem Falle Oberst- 
leutnant Hans Roth aus Zürich. Richter waren drei 
weitere Offiziere, nämlich ein Oberst, ein Oberst- 
leutnant und ein Oberleutnant, sowie drei Unter 
offiziere, nämlich ein Fourier, ein Wachtmeister 
und ein Korporal. Alle Mitglieder des Gerichts 
stammten aus der Ostschweiz, nämlich aus den 
Kantonen St. Gallen, Appenzell und Glarus, der 
Vorsitzende aus Zürich. 
Ein Todesurteil kam nur zustande, wenn min 
destens sechs der sieben Richter dafür stimmten. 
Nach dem Urteil gab es die Möglichkeit der Kassa- 
tionsbeschwerde an das Militärkassationsgericht, 
welches das Urteil bei Gesetzesverletzung oder 
willkürlichem Ermessen für nichtig erklären konn: 
te, dann wäre es zur Neubeurteilung ans Gericht 
zurückgegangen. Nach Abweisung einer Kassati- 
onsbeschwerde blieb als letztes ein Begnadigungs- 
gesuch an die Vereinigte Bundesversammlung. 
Die Hauptverhandlungen gegen insgesamt 22 
Personen des Spionagerings fanden im März 1944 
in St. Gallen statt. Hauptangeklagte waren hierbei 
Alfred Quaderer, Kurt Roos und Willy Kranz — die- 
se drei wurden zum Tode verurteilt — sowie Willy 
Weh, Pietro Rossi, Josef Arnold Vogt und die zwei 
Funker-Pioniere Willy Hürlimann und Georg Ur- 
sprung - die alle zu lebenslänglichem Zuchthaus 
verurteilt wurden —-, dazu der Füsilier-Korporal 
Alois Landolt, der 20 Jahre Zuchthaus erhielt. Die 
weiteren Strafen bewegten sich von 14 Jahren 
Zuchthaus an abwärts. 
WARUM DAS TODESURTEIL? 
Die gesetzlichen Grundlagen für das schwerste 
Urteil, jenes des Todes, waren gegeben. Quaderers 
Taten erfüllten den Tatbestand nach Artikel 86 
Militärstrafgesetz, nämlich die Störung und Ge- 
fährdung der Unternehmungen des Heeres, indem 
er «das Gerippe der Abwehrorganisation» der 
Schweiz verraten hatte (dieses und die in diesem 
\bschnitt folgenden Zitate folgen den bei Noll wie- 
lergegebenen Quellenstellen). Das urteilende Ge- 
richt folgerte: 
«Verrat objektiv schwerster Art ist somit begangen 
worden.» 
Aber, argumentierte das Gericht, die Todesstrafe, 
als «das schwerste Übel ..., das man einem Men- 
schen zufügen kann», sollte grundsätzlich nur aus- 
gesprochen werden, wenn auch «subjektiv schwer- 
ste Schuld» vorliege. Eine solche bejahte das 
Gericht ebenfalls. Einziges Motiv Quaderers sei 
«Geldgier» gewesen. Mit Deutschland, für das er 
spionierte, verbänden ihn keine «vaterländischen», 
allenfalls «achtenswerten Momente», keinerlei 
«ethische Beweggründe». Er sei skrupellos vorge- 
gangen, habe 
«hemmungslos alles ausspioniert und verraten, 
was ihm zugänglich war». 
Er habe die Geheimnisse, um mehr Geld zu erlan- 
gen, ratenweise verkauft und dabei zeitweilig noch 
seinen Freund Roos hintergangen. 
Das Gericht war sich bewusst, dass Quaderer 
_iechtensteiner, nicht Schweizer war. Es argumen- 
jerte indes, als Liechtensteiner sei er 
«Bürger eines mit der Schweiz in engster Freund- 
schaft verbundenen ... Landes», 
das wie die Schweiz zur Zeit nicht in den Krieg ein- 
vezogen sei; er sei in der Schweiz aufgewachsen, 
habe hier die Schulen besucht, hier eine Maler- 
‚ehre absolviert und ein Auskommen gefunden; 
während die Schweizerbürger Aktivdienst leisten 
mussten, habe er hier weiterleben können wie zUu- 
vor. Er aber habe in verabscheuungswürdiger Wei 
se «Verrat dem Gastlande gegenüber» begangen. 
Der Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, plädierte 
für Quaderer auf lebenslängliches Zuchthaus. Doch 
das Gericht brach über Quaderer den Stab, indem 
es einstimmig zum Schluss kam: 
«Es liegt ... sowohl subjektiv wie objektiv ein Fall 
schwerster Art vor, der im Interesse der Landes- 
sicherheit die Todesstrafe erheischt.» 
‚271
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.