LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Hauptverhandlung. Auditor war Major Paul Popp,
St. Gallen. Jeder Angeklagte hatte einen Verteidi-
ger. Für Alfred Quaderer amtete der St. Galler Dr.
Rolf Zollikofer, Rapperswil, als Pflichtverteidiger.
Dem Territorialgericht 3b gehörten sieben Richter
an, alles Militärpersonen. Vorsitzender «Grossrich-
ter» war ein hoher Offizier, in diesem Falle Oberst-
leutnant Hans Roth aus Zürich. Richter waren drei
weitere Offiziere, nämlich ein Oberst, ein Oberst-
leutnant und ein Oberleutnant, sowie drei Unter
offiziere, nämlich ein Fourier, ein Wachtmeister
und ein Korporal. Alle Mitglieder des Gerichts
stammten aus der Ostschweiz, nämlich aus den
Kantonen St. Gallen, Appenzell und Glarus, der
Vorsitzende aus Zürich.
Ein Todesurteil kam nur zustande, wenn min
destens sechs der sieben Richter dafür stimmten.
Nach dem Urteil gab es die Möglichkeit der Kassa-
tionsbeschwerde an das Militärkassationsgericht,
welches das Urteil bei Gesetzesverletzung oder
willkürlichem Ermessen für nichtig erklären konn:
te, dann wäre es zur Neubeurteilung ans Gericht
zurückgegangen. Nach Abweisung einer Kassati-
onsbeschwerde blieb als letztes ein Begnadigungs-
gesuch an die Vereinigte Bundesversammlung.
Die Hauptverhandlungen gegen insgesamt 22
Personen des Spionagerings fanden im März 1944
in St. Gallen statt. Hauptangeklagte waren hierbei
Alfred Quaderer, Kurt Roos und Willy Kranz — die-
se drei wurden zum Tode verurteilt — sowie Willy
Weh, Pietro Rossi, Josef Arnold Vogt und die zwei
Funker-Pioniere Willy Hürlimann und Georg Ur-
sprung - die alle zu lebenslänglichem Zuchthaus
verurteilt wurden —-, dazu der Füsilier-Korporal
Alois Landolt, der 20 Jahre Zuchthaus erhielt. Die
weiteren Strafen bewegten sich von 14 Jahren
Zuchthaus an abwärts.
WARUM DAS TODESURTEIL?
Die gesetzlichen Grundlagen für das schwerste
Urteil, jenes des Todes, waren gegeben. Quaderers
Taten erfüllten den Tatbestand nach Artikel 86
Militärstrafgesetz, nämlich die Störung und Ge-
fährdung der Unternehmungen des Heeres, indem
er «das Gerippe der Abwehrorganisation» der
Schweiz verraten hatte (dieses und die in diesem
\bschnitt folgenden Zitate folgen den bei Noll wie-
lergegebenen Quellenstellen). Das urteilende Ge-
richt folgerte:
«Verrat objektiv schwerster Art ist somit begangen
worden.»
Aber, argumentierte das Gericht, die Todesstrafe,
als «das schwerste Übel ..., das man einem Men-
schen zufügen kann», sollte grundsätzlich nur aus-
gesprochen werden, wenn auch «subjektiv schwer-
ste Schuld» vorliege. Eine solche bejahte das
Gericht ebenfalls. Einziges Motiv Quaderers sei
«Geldgier» gewesen. Mit Deutschland, für das er
spionierte, verbänden ihn keine «vaterländischen»,
allenfalls «achtenswerten Momente», keinerlei
«ethische Beweggründe». Er sei skrupellos vorge-
gangen, habe
«hemmungslos alles ausspioniert und verraten,
was ihm zugänglich war».
Er habe die Geheimnisse, um mehr Geld zu erlan-
gen, ratenweise verkauft und dabei zeitweilig noch
seinen Freund Roos hintergangen.
Das Gericht war sich bewusst, dass Quaderer
_iechtensteiner, nicht Schweizer war. Es argumen-
jerte indes, als Liechtensteiner sei er
«Bürger eines mit der Schweiz in engster Freund-
schaft verbundenen ... Landes»,
das wie die Schweiz zur Zeit nicht in den Krieg ein-
vezogen sei; er sei in der Schweiz aufgewachsen,
habe hier die Schulen besucht, hier eine Maler-
‚ehre absolviert und ein Auskommen gefunden;
während die Schweizerbürger Aktivdienst leisten
mussten, habe er hier weiterleben können wie zUu-
vor. Er aber habe in verabscheuungswürdiger Wei
se «Verrat dem Gastlande gegenüber» begangen.
Der Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, plädierte
für Quaderer auf lebenslängliches Zuchthaus. Doch
das Gericht brach über Quaderer den Stab, indem
es einstimmig zum Schluss kam:
«Es liegt ... sowohl subjektiv wie objektiv ein Fall
schwerster Art vor, der im Interesse der Landes-
sicherheit die Todesstrafe erheischt.»
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