Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1999) (97)

Die Brüder waren auswärts in Diensten, eine Schwester blieb bei der Mutter zu Hause. Die ärm- lichen Verhältnisse besserten sich etwas, als die Mutter Augustina 1863 einige kleinere Grund- stücke und das halbe Wohnhaus mit Stall von ihrer eigenen Mutter erben konnte. Damit war die Exi- stenz der elfköpfigen Familie (Grosseltern väter- licherseits, Eltern und Kinder) auf ein sichereres, wenn auch schmales Fundament gestellt. Ein Jahr später jedoch musste auch Regina in die Fremde, damit sie Geld verdienen konnte und zuhause eine Kostgängerin weniger war. «Im Jahr 1864 im Februar war es wieder einmal ganz lustig gewesen. Die jungen Buben und Meit- schi haben viel getanzt, aber nicht etwa auf einem Ball oder Tanzboden, sondern bei Spinnstubeten», beginnt Regina Lampert ihre Aufzeichnungen. Drei Seiten weiter erzählt sie von der ersten Reise 1864 ins Schwabenland: «Am 17. März, zwei Tage vor Josefsfest, mussten wir reisen, morgens früh vier Uhr, um sechs Uhr ist Abmarsch. ... Die Tränen haben wir tapfer hinunter gewürgt» (S. 54 f.). Nach der Reise über den Bodensee wurden diejenigen Kinder, die noch keinen Platz bei einem Bauern hatten, in Ravensburg, in der «Markthalle für Hir- tenkinder und Dienstboten» verdingt. Die Kinder sammelten sich zuvor an einer zu diesem Zweck bestimmten Ravensburger Strasse, manchmal 150 bis 200 täglich. Weitere solcher «Kindermärkte» befanden sich übrigens in Wangen, Bad Waldsee, Überlingen und Pfullendorf. Unter den Kindern in Ravensburg befand sich 1864 also auch die damals zehnjährige Regina, für die als Lohn für die acht Monate Arbeit von Josefi (19. März) bis Martini (11. November) zwölf Gulden und das «doppelte Häs», also zweimal ein Gewand von Kopf bis Fuss vereinbart wurde. Nach Beendi- gung des Dienstes im Spätherbst und nach der Rückreise nach Schnifis gab das kleine Mädchen dem Vater stolz den schwer verdienten Lohn. Der einfache Mann nahm «das Säckli, keine Miene von Freude», auch kein Dank, er sagte aber, dass er zufrieden sei. «Er konnte es kaum sagen, so war er ergriffen» (S. 90). Auch später hatte Regina den Eindruck, «beim Vater nur wert [zu sein], solang 
er mich nötig hat. Immer bin ich fremd neben dem Vater» (S. 353); warum, wusste sie nicht. Ihre erste Arbeitsstätte war der Hof eines Gross- bauern in Berg bei Friedrichshafen. Sie wurde als Gänsehirtin (90 Gänse) und als Erntehelferin be- schäftigt, im Sommer darauf vermehrt auch in Stall und Feld oder in der Küche, wo das kleine Mädchen einen Schemel brauchte, um in die Pfan- ne sehen zu können. Die Arbeit war schwer, zumal sie auch nachts oft auf die Bauernkinder achten musste und so selbst nicht genügend Schlaf hatte. «So geht die Zeit immer weiter, und mir kommt vor, ich müsste immer mehr arbeiten, oft fast über mei- ne Kräfte» (S. 109). Nach einem Sprengunglück beim Steinesam- meln auf der Allmeind, bei dem zwei Brüder Regi- nas verletzt wurden, wurde das nunmehr 12-jäh- rige Mädchen als Küchenhilfe in das Kloster Alten- stadt bei Feldkirch vermittelt. Sie konnte die Klosterschule besuchen und hatte Garten-, Feld- und Küchenarbeit zu verrichten. Strenge Zucht und harte Strafen wie das Knien (Kneula) auf einem spitzen Holzscheit verbitterten ihr den Aufenthalt. Sie lief weg, bis nach Berg, wo sie wieder einge- stellt wurde - das Kloster zahlte dennoch einen Lohn von zehn Gulden nach. Der Vater war über seine Tochter empört, aber das war Regina «ge- wohnt an Vater, bin nicht sein Liebling» (S. 155). Viel Arbeit und neue Erfahrungen folgten: sie er- lebte den Blutsonntag (Brauch) in Weingarten, den Selbstmord eines Knechts, dem der Schatz die Lie- be aufgekündigt und dabei auch gleich sein schwer verdientes Geld behalten hatte, und bei dessen Be- erdigung der Pfarrer predigte: «Liebe Anwesende, über den soeben bestatteten Mann kann ich nicht viel berichten, schimpfen mag i net und loben kann i net. Amen» (S. 167). Regina lernte kutschieren, als sie ein vergnügtes lustiges «altes Pfärrerle mit einem kleinen Räuschle» heimfuhr. Sie erstickte fast in Arbeit, bekam von Mägden und Knechten Schläge (nicht zuletzt, weil sie bei den Bauersleuten tratschte), erlebte eine Verlobung, entdeckte den Ehebruch der Bäuerin, und bekam selbst sexuelle Übergriffe seitens des Bauern zu spüren - Erleb- nisse, mit den denen das Mädchen zu kämpfen hat- 230
	        

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