Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1999) (97)

DAS ROD- UND FUHRWESEN IM FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN / KLAUS BIEDERMANN Kampf um das Rodwesen DIE RODORDNUNG ALS VERKEHRS- HINDERNIS Der in Kapitel «Gesetzliche Bestimmungen» (vgl. S. 63 bis 92) bereits angesprochene Interessen- gegensatz zwischen Kaufleuten und lokalen Trans- portverbänden sollte auch die weitere Entwicklung des Rodfuhrwesens in Liechtenstein prägen. Die Rodordnung sicherte, wie bereits erwähnt, das Transportrecht der Säumer und Fuhrleute, welche die ihnen anvertrauten Waren von Zuschg zu Zuschg beförderten. Jürg Bielmann äussert sich zu den Verhältnissen im Kanton Uri, wobei hier viele Parallelen zur Situation im Raum Liechtenstein (Alpenrheintal) erkennbar sind: «[Diese Form des Transports] wurde von den Talleuten eindeutig be- vorzugt, da dem Einzelnen ein regelmässiger Ver- dienst gesichert war und die Spesen sehr gering blieben: der Säumer (Fuhrmann) konnte immer zu Hause übernachten und war auch für die Ernäh- rung der Pferde nicht auf fremde Futterquellen an- gewiesen. Ganz anders empfanden die fremden Kaufleute diese Art von Transportsystem, wenn sie oft wochenlang auf ihre Waren warten und sie dann erst noch verdorben oder beschädigt ent- gegennehmen mussten.»576 Zum Spannungsfeld zwischen dem Stracksfuhr- und dem Rodfuhrwesen nimmt auch Pio Caroni Stellung.577 Einige Grundlinien seiner Argumenta- tion seien im Folgenden kurz skizziert: Seit dem Ausgang des Mittelalters beharrten die Kaufleute immer mehr auf dem Prinzip der direkten Fahrt und stellten sich damit in einen wachsenden Ge- gensatz zu den Rodfuhrleuten. Diese machten zwar kleinere Zugeständnisse, die aber das Transport- monopol ihrer Gemeinde beziehungsweise ihres Rodbezirks materiell kaum in Frage stellten. So er- laubten sie bei starkem Verkehr (also offenbar bei Vollbeschäftigung der Gemeindesäumer) die direk- te Fahrt der Fuhrleute von Chur bis Chiavenna oder Bellinzona. Durch gegenseitige Verpachtung von Rodrechten unter benachbarten Gemeinden wurde eine Ausdehnung der erlaubten Teilstrecke (des Rodbezirks) ermöglicht. Die starke Stellung der Rodgenossenschaften - speziell in Graubünden -führte 
dazu, dass die Bündner Pässe von Kaufleu- ten zusehends gemieden wurden. Im Kanton Uri wurde wiederholt versucht, den Säumern die Stracksfuhr schmackhaft zu machen. So versprachen die Behörden den Fuhrleuten hö- here Frachttarife (Fuhrlohnerhöhung von 13 bis 16 Prozent) sowie ein Vorrecht bei der Warenzuteilung für den Rückweg.578 Offenbar brachten diese Zu- geständnisse nicht den gewünschten Erfolg. Ein Grund dafür war sicher die schmale wirtschaftliche Existenzgrundlage der Bauern, die sich eine zu häufige Abwesenheit von ihren landwirtschaftli- chen Betrieben nicht leisten konnten. Der Trend zur Schaffung grösserer Rodbezirke, also hin zu einer grösseren Distanz zwischen den Abladestationen, lässt sich im Kanton Uri über mehrere Jahrhunderte verfolgen. Zur Zeit der Eröffnung des Gotthardpasses im 13. Jahrhun- dert579 erfolgte die Warenbeförderung durch die einzelnen Nachbarschaften. Ab dem 14. Jahrhun- dert billigten sich die Säumer der beiden Pass-Sei- ten gegenseitig zuerst ein beschränktes, später aber immer umfangreicheres Durchfahrtsrecht. Nach der Eroberung der Leventina durch Uri im 15. Jahrhundert wurde die Selbstverwaltung der Nachbarschaften zwar nicht aufgehoben, aber die Urner nutzten nun die Gelegenheit, um die Waren- beförderung von Flüelen bis Biasca einheitlich zu regeln. Sie erliessen Säumerordnungen, die sowohl für Uri wie für Urseren580 und die Leventina einheitlich galten.581 Dies kam den Wünschen der Kaufleute entgegen und verstärkte - längerfristig 573) Vgl. Zahlen im Anhang, S. 160-162. 574) LLA Rechnungsbücher des Rentamts. 575) Vgl. Anhang auf S. 156-162. 576) Bielmann. Lebensverhältnisse im Urnerland, S. 125. 577) Caroni, Säumergenossenschaften, S. 81. 578) Bielmann. Lebensverhältnisse im Urnerland, S. 126. 579) Vgl. Caroni, Säumergenossenschaften, S. 81. 580) 1410 erwarb Uri dieses Gebiet, das vorher dem Abt von Disentis gehörte. 581) Säumerordnungen 1498; 1696-1701. 107
	        

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