Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (96)

ethnische Randgruppe. Durch ihre konsequent nomadisierende Lebensweise war der Konflikt mit der sesshaften Bevölkerung programmiert - der sesshafte Kain und der Hirte Abel gerieten wieder aneinander; und wieder wurde Abel erschlagen.6 Das erste Auftauchen von wandernden Zigeu- nerstämmen in Europa fällt in das späte 14. Jahr- hundert. Unmittelbar im Anschluss daran konnten die Zigeuner in Europa - verglichen mit der spä- teren Entwicklung - ein weitgehend repressions- freies Leben führen; vor allem im deutschen Raum überwog zuerst die soziale Akzeptanz.7 Unter der Führung eines «Zigeuneradels» durch- zieht ab 1417 eine Zigeunerschar Mitteleuropa; sie nützen die religiöse Stimmung der Zeit als wan- dernde Büsser auf Pilgerschaft aus und weisen einen angeblich von Kaiser Sigismund aus 1423 stammenden Geleitbrief vor. 1418 tauchen sie erst- mals im süddeutschen Raum auf; im Folgejahr er- reichen sie Bayern. Zur Mitte dieses Jahrhunderts verschwindet dieser erste Zigeunerzug spurlos.8 Bei diesem ersten Auftreten in der Mitte Europas werden die Zigeuner durch die Verbindung von christlicher Pilgerschaft und hochrangigen Schutz- briefen geschützt. Das Konzept des mittelalterli- chen Almosenwesens gab ihrer Armut eine für die Gesellschaft bedeutsame religiöse Funktion: Ande- ren war dadurch eine Teilhabe an ihrer Busse mög- lich. 1443 noch hatte Friedrich III. den Zigeunern ein weiteres Geleitschreiben ausgefolgt; dennoch kam es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts zu er- sten Konflikten mit städtischen Obrigkeiten und zu gewaltsamen Vertreibungen. Als zudem gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein Gesinnungswandel hinsichtlich des Almosensystems eintrat und dieses zufolge seines Funktionsverlustes ab zirka 1500 zusammenbrach, setzten die ausgrenzenden und zigeunerfeindlichen Rechtsakte ein.9 Zwischenzeitlich hatte eine zweite Zuwanderer- welle ab etwa 1438 die Zigeuner zu Dauerbewoh- nern Mitteleuropas gemacht - wenn auch weiter- hin nomadisierend. Ab jetzt lassen die Quellen zunehmend erkennen, dass die Zigeuner als zu- dringlich empfunden wurden und sich die Bevöl- kerung durch sie geschädigt fühlte, was zu Mass-nahmen 
seitens der Obrigkeiten geführt hat. Diese wurden allerdings durch die Furcht vor den Zau- berkräften, die man dem fremden Wandervolk zusprach, eingebremst. Dennoch setzten bereits im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts gewaltsame Massnahmen gegen die herumziehenden Zigeuner ein - der Schutzbrief Sigismunds wurde bewusst negiert. Weiterer obrigkeitlicher Schutz, wie er den Zigeunern in diesem Jahrhundert vereinzelt noch gewährt wurde, bildet daneben erkennbar eine Ausnahme. Die zeitlich frühesten bisher bekannten zigeunerfeindlichen Polizeivorschriften stammen aus der Schweiz - 1471 wurden sie in Luzern er- lassen.10 Jenes «Goldene Zeitalter», währenddessen die Zigeuner im deutschen Raum einigermassen unbe- einträchtigt oder zumindest geduldet leben konn- ten, endete dann definitiv mit einer Serie von Reichstagen aus der Regierungszeit von Kaiser Maximilian I.: Die rechtliche Diskriminierung der Zigeuner durch die Reichsgesetzgebung setzte un- ter Aspekten der Polizei auf dem Reichstag von 1495 ein; die Reichstagsabschiede von 1497, 1498, 1500 sowie die von 1544 und 1551 wiederholen die Zigeunerartikel. Diese finden auch in den Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 Eingang.11 Unübersehbar ist der Zusammenhang mit der damals gerade im südostdeutschen Raum stark ausgeprägten Türkenangst. Da die Türkengefahr noch für zwei weitere Jahrhunderte das Reich be- drohte, blieben die Zigeuner weiterhin den Türken zugeordnet. Seit diesen reichsgesetzlichen Vor- schriften des frühen 16. Jahrhunderts finden sich daher wiederholt Anweisungen über die Behand- lung der Zigeuner, die man nicht nur der Aus- späherei für die Türken verdächtigte, sondern die man auch mit anderen Gefahren (dabei ist deutlich auch an Ketzerei gedacht) in Verbindung brachte. Zur Mitte des 16. Jahrhunderts, am Augsburger Reichstag 1551 wurde beschlossen, dass die Zigeu- ner als vermutliche Zuträger der Türken innerhalb von drei Monaten aus dem Land weichen müssten. Die den Zigeunern darüberhinaus pauschal unter- stellte Bedrohung der sozialen Sicherheit war auch 202
	        

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