Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (96)

Die Opfer der Prozesse stilisierte er im Gegen- satz zur widerwärtigen Obrigkeit teilweise zu Vor- bildern und sogar zu Helden. So war das Schicksal der Moratin für ihn «das Ringen einer tapferen Mutter um ihr Leben», Maria Eberle «gehört zum Kreis der Menschen, die gegen das Unrecht auftre- ten und sich ihr Recht verschaffen».527 Katharina Bregenzerin, «die einfache Frau vom Eschner- berg», hatte nach Seger «das größte Heldentum bewiesen».528 Ein Beispiel dafür, mit welchen Fehlurteilen die- se Dichotomie zwischen böser Obrigkeit und guten Untertanen verbunden war, bietet Kaspar Lam- parts Frau aus Schaan, über die Seger schrieb: «Die ganze Gequältheit der Untertanen und das Ge- fühl der Rechtlosigkeit spricht aus den Worten eines einfachen Weibes, das zum Manne sagt, als die Leiche eines Kindes an ihrem Hause vorbei zum Gottesacker getragen wird: <Es ist ihm wohl gegangen, es darf jetzt doch nicht verbrannt wer- den). Die Frau wird dafür von der <gnädigen Herr- schaft) bestraft!»529 Aus den Unterlagen zu diesem Fall geht jedoch eindeutig hervor, dass der zitierte Satz von Kaspar Lamparts Frau genau das Gegen- teil von dem meinte, was ihr Seger unterstellt. Sie wurde im Jahre 1650 nicht für ihr Mitleid bestraft, sondern weil sie mit ihrer gehässigen Aussage über das Kind die gesamte Familie Thöni Maurers als Hexenvolk verunglimpft hatte.530 VERBLENDETE FOLTERKNECHTE UND GUTE GEISTLICHKEIT Otto Seger bemängelte in seiner stark moralisie- renden Einstellung nicht nur die nüchternen Darle- gungen im Salzburger Rechtsgutachten, sondern vermisste sogar Schuldgefühle bei «den Folter- knechten und den Richtern» selbst, deren Verblen- dung und Befangenheit er eifrig kritisierte.531 Grenzte es aber nicht ebenfalls an Befangenheit, wenn Seger den Juristen Lizentiat Johann Büchele mit einem «KZ-Henker unseres Jahrhunderts» ver- gleicht?532 Dabei konnte Seger Büchele nur vorwer- fen, dass dieser in den Schellenberger Inquisitions-protokollen 
als Beisitzer aufscheint, obwohl er be- hauptet hatte, an den Inquisitionen in Vaduz nicht teilgenommen zu haben. Bei allen weiteren An- schuldigungen gegen ihn scheint es die kaiserliche Kommission nicht für notwendig erachtet zu ha- ben, die von Büchele angeführten Zeugen über die Wahrheit seines Berichtes von 1697 einzuverneh- men. Vielleicht hatte Büchele wirklich zur Rettung von Segers Fleldinnen, Barbara Moratin und Kat- harina Bregenzerin, beigetragen. Segers Voreingenommenheit führte zur Ent- stehung eines Klischees im eigentlichen Sinne des Wortes.533 Er schrieb, dass sich das Gericht «nicht einmal mehr die Mühe [machte], jeweils ein eige- nes Urteil auszustellen, es handelt sich förmlich um eine Art von Formular, in das nur die Namen der Verurteilten einzutragen sind! Man ersparte sich somit die Urteilsbegründung selbst bei Todesurtei- len!»534 Seger bezog sich mit dieser Aussage auf die Abschriften eines End- und eines Gnadenurteils, die auf entsprechende Anforderung hin für den Gutachter an der Salzburger Juristenfakultät ko- piert worden waren.535 Dass man für Delinquenten, die im Zuge desselben Verfahrens wegen des glei- chen Verbrechens verurteilt wurden, nicht jedes- mal einen anderen Urteilstext formulierte, war nicht nur allgemein üblich, sondern auch durchaus sinnvoll. Ausserdem enthielt das Urteilsmuster ent- gegen der Behauptung Segers536 sehr wohl eine - aus damaliger Sicht - triftige Begründung für die Hinrichtungen. Seger zitierte sie übrigens selbst auf Seite 107 seiner Abschrift. Dass sie heute nicht mehr überzeugt, kann dem Vaduzer Gericht wohl nicht vorgeworfen werden. Die Unterstellungen bezüglich der standardisier- ten Urteilsformulare, welche die vaduzischen He- xenprozesse in die Nähe der industriellen Tötungs- maschinerie des 20. Jahrhunderts rückten, waren Teil einer Dämonisierung der weltlichen Obrigkeit, auf deren Hintergrund das Wirken der Geistlichkeit besonders hell gezeichnet wurde.537 Dabei kann nicht erwartet werden, dass die Un- ternehmungen des Triesner Pfarrers Valentin von Kriss schon im Kontext der bahnbrechenden Ak- tivitäten der Maria Eberlin gesehen werden; und 118
	        

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