Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (96)

Zur Literatur über die liechtensteinischen Hexen- prozesse Die bedeutendsten wissenschaftlichen Veröffent- lichungen über die Hexenprozesse in der Graf- schaft Vaduz und in der Herrschaft Schellenberg bilden neben der liechtensteinischen Geschichte Peter Kaisers zwei Untersuchungen Otto Segers aus den Jahren 1958 beziehungsweise 1960. Beide wurden 1987, ergänzt durch Ausführungen über das Salzburger Rechtsgutachten von 1682, von Peter Putzer als Monografie neu herausgegeben. Im folgenden Jahr veröffentlichte Paul Vogt ei- nen Aufsatz über die «Hexenprozesse des 17. Jahr- hunderts in der Grafschaft Vaduz im Spiegel eines juristischen Gutachtens». Er basiert im wesentli- chen auf den Darlegungen Segers; sein Hauptziel bestand laut Autor darin, «einen Erklärungsver- such für das Abbrechen der Massenprozesse im späten 17. Jahrhundert zu liefern».504 Vogt schreibt: «Die Hexenprozesse in Vaduz hörten 1681 mit dem Einsetzen der kaiserlichen Administration sofort auf. Wie ist nun das Aufhören der Hexenprozesse zu erklären? Warum erschien es plötzlich nicht mehr nötig, Hexen zu vernichten?»505 Den wichtig- sten Grund dafür ortete Vogt darin, «daß das Ende der Hexenprozesse und damit das Ende der Konfis- kationen mit der Schaffung neuer Finanzquellen zusammenfiel».506 Er hielt es für möglich, dass un- ter dem kaiserlichen Kommissar Rupert von Bod- man oder den Fürsten von Liechtenstein weitere Verfahren geführt worden wären, wenn nicht 1696 neue Finanzquellen als Ersatz für die unterbunde- nen Konfiskationen erschlossen worden wären.507 Nach der spektakulären Beendigung und Ungültig- keitserklärung der Prozesse 1682 muss man jedoch den Vaduzer Obrigkeiten zugestehen, dass sie zu einer Zeit, als die Hexenprozesse europaweit stark zurückgegangen waren,508 auch aus anderen Moti- ven grundsätzlich auf die Führung von Hexenpro- zessen verzichteten. Bei einer Auseinandersetzung mit den Unter- suchungen Otto Segers, die bei einer Beschäftigung mit den liechtensteinischen Hexenprozessen un- umgänglich ist, muss der Forschungsstand berück- sichtigt werden, der sich in den letzten Jahrzehn- ten stark gewandelt hat.509 Segers Darlegungen ste- hen - ebenso wie die Äusserungen Johann Baptist 
Büchels zum Hexenwesen510 - in der Tradition des rationalistischen Hexenparadigmas, das auf die bahnbrechenden Arbeiten Wilhelm Gottlieb Sol- dans zurückging. Sie sind einer einseitig aufkläre- rischen Sichtweise verbunden und setzen voraus, dass die Hexen unschuldige Opfer eines «Wahnes» beziehungsweise bestimmter niederer Motive, wie zum Beispiel der Habsucht, waren.511 Mit dieser Auffassung konkurrierten die romantischen An- sichten im Gefolge Jakob Grimms und Jules Miche- lets von den besonderen Qualitäten der Hexen als «weisen Frauen». Seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgte in der Hexenforschung jedoch ein Paradigmenwechsel: Die sozialwissen- schaftlich fundierte Erfassung des Hexenwesens ersetzte Schuldzuweisungen und Verklärungen durch das Bemühen um Erkenntnis und Erklä- rung.512 Die Arbeiten Otto Segers zeigen deutlich, welchen Vorurteilen die rationalistische Sichtweise verhaftet war. ABERGLÄUBISCHES VOLK UND SIEG DES RECHTES Anders als für die Grafschaft Vaduz und die öster- reichischen Herrschaften vor dem Arlberg liegen über Personen aus der Herrschaft Schellenberg In- quisitionsprotokolle vor. Die dort dokumentierten Aussagen erlauben einen aufschlussreichen Einblick in das Alltagsleben und die Volkskultur als Nährbo- den der Hexenverfolgungen. Für Otto Seger galten diese Unterlagen jedoch, seiner aufgeklärten Grund- haltung entsprechend, als Ausdruck der «Verwir- rung der Geister in jener Zeit», als «sinnlos, bar je- den Mitgefühls und jeden Erbarmens».513 Der Band mit den Inquisitionsprotokollen war für ihn «ein schaurig anmutendes Buch», er erschrak «über die unheilvolle Mischung von Aberglaube, Furcht und Haß».514 Die Aussagen erschienen ihm als «wirr», «abergläubisch» und «oft durch Haß verzerrt».515 Rufzeichen um Rufzeichen hinter seinen Kommen- taren drückten seine Entrüstung aus. «Mit solchen Dingen geht man zu Gericht!»516 «Die Obrigkeit aber glaubte auch solchen Dingen!»517 usw.518 116
	        

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