Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

DER WEG DER LIECHTENSTEIN-GALERIE VON WIEN NACH VADUZ / GUSTAV WILHELM Aus dem Tagebuch Als kostbares Behältnis für seine einzigartigen Kunstsammlungen liess Fürst Johann Adam von Liechtenstein1 um die Wende vom 17. zum 18. Jahr- hundert durch die Architekten Domenico Martinei- ii2 und Gabriel de Gabrielis3 nach den Plänen von Enrico Zucalli einen prächtigen Palast in Wien nahe der Minoritenkirche errichten.4 Dort blieben die liechtensteinischen Kunstsammlungen rund hundert Jahre lang. Zu Anfang des 19. Jahrhun- derts überführte Fürst Johann I. von Liechtenstein die Liechtenstein-Galerie in seinen Barockpalast5 in der Wiener Vorstadt Rossau, die Galerie blieb dort rund 130 Jahre.6 Der schon im Wiener Stadt- palais beobachtete Grundsatz des Gesamtkunst- werkes wurde auch im Rossauer Palais weiter ge- pflegt: Die Liechtenstein-Galerie wurde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie gehörte jahrzehntelang zu einer der Hauptsehenswürdig- keiten der Stadt Wien. Bald nach dem Überfall der deutschen Truppen auf Österreich und dem Anschluss Österreichs an Deutschland bekam auch die Liechtenstein-Galerie die neuen Machthaber zu spüren. Ohne irgendwie an die Fürstliche Verwaltung herangetreten zu sein, wurde einseitig von den deutschen Behörden verfügt, dass die gesamte Galerie, wie sie derzeit in dem Palais in der Rossau bestand, auf die «Reichs- liste der unverzichtbaren Kunstgüter» zu setzen sei, womit ein Ausfuhrverbot verbunden war. Die juristischen Einwände der fürstlichen Verwaltung, die vor allem darin bestanden, dass dieses Reichs- gesetz auf das Privateigentum eines ausländischen Staatsoberhauptes nicht anwendbar sei, wurden ignoriert. Diese von den Nationalsozialisten erlas- sene Verfügung sollte uns dann in den kommenden Jahren noch sehr viele Sorgen bereiten. Das grosse Malheur, das dann im nächsten Jahr über die Galerie hereinbrach, war der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.7 Das, was man bisher als die «Galerie Liechtenstein» bezeichnete, das Ge- samtkunstwerk, das in der ganzen Welt als Kost- barkeit bekannt war, musste aufgegeben werden, und da das Deutsche Reich jede Ausfuhr auch nur eines einzelnen Stückes verboten hatte, musste die- ser ganze Konnex aufgelöst werden, jahrelang rei-ste 
ich mit den Kostbarkeiten von Bergungsort zu Bergungsort auf der Flucht herum, bis es doch noch ganz wenige Minuten vor zwölf gelang, die Bilder und Kunstwerke, teils illegal, nach Liechten- stein zu bringen.8 Die Strategie der Bergungsmassnahmen musste sich stets der sich immer wandelnden Kriegslage anpassen. Hätte man gleich anfangs des Krieges nach Liechtenstein gehen können, wäre natürlich alles viel einfacher gewesen. Das war uns aber ver- boten. Und so musste ich jahrelang von einem Schutzort zum anderen wandern, obwohl alle Transporte infolge der Kriegswirtschaft immer schwieriger wurden. In den ersten Kriegsjahren war Niederösterreich und Mähren ja vor Bomben sicher, da diese Länder ausserhalb der Reichweite feindlicher Flieger lagen. Doch wurde einerseits diese Reichweite immer wieder durch technische 1) Vogt (1990). S. 47. Johann Adam I. von Liechtenstein ("1657; + 1712) war ein grosser Kunstliebhaber. Er kaufte die Werke von Rubens und van Dyck für die fürstlichen Sammlungen. 2) Domenico Martineiii: italienischer Architekt (*1650 in Lucca: tl718 ebenda). 3) Gabriel de Gabrielis: Architekt (* 1671 in Rovereto/Trentino: tl747 in Eichstätt/Bayern). 4) Castellani (1993), S. 73. Der im Bericht von Gustav Wilhelm genannte Palast an der Bankgasse 9 in Wien - auch «Bankgassen- palais» oder «Palais Liechtenstein» genannt - wurde in den Jahren 1690 bis 1705 errichtet. 5) Erbaut in den Jahren 1696 bis 1705 von Domenico Martinclli. - Zur Baugeschichte siehe Wilhelm (1977). S. 84-87. 6) Vogt (1990), S. 63. Unter Fürst Johann 1. (*1760; +1836) wurde 1810 die Galerie im Palais in der Rossau untergebracht. Dort blieb sie bis 1940 und war für das interessierte Publikum zugänglich. Unter Fürst Johann I. wurde die Zahl der Gemälde beinahe verdop- pelt: Umfasste die Galerie bei seinem Regierungsantritt 840 Bilder, so vergrösserte sich der Bestand bis zu seinem Tod auf 1630 Bilder. 7) Wilhelm (1977), S. 165: «War der erste Weltkrieg ohne jeden Einfluss auf die Liechtensteingalerie vorübergegangen, so zeigte sich bald nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges, dass dieser für den Bestand der Galerie von sehr weittragender Bedeutung sein sollte...» 8) Die Rettung der fürstlichen Kunstsammlungen wurde eigens im Rechenschaftsbericht 1944 erwähnt: «Eine grosse Arbeit und viel Mühe verursachte der Regierung die Bergung des fürstlichen Kunst- besitzes von Wien nach Liechtenstein» (Rechenschaftsbericht 1944, S.44). 5
	        

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