Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

Der ständig amtierende Regierungsrat Pfarrer Anton Frommelt kündigte im Juni seinerseits aus gesundheitlichen Gründen den baldigen Rückzug aus seinem Amt an. Im Landtag schlug die Bürger- partei Alexander Frick vorerst als Regierungsrat vor. Die Wahl wurde auf Wunsch der Vaterländischen Union verschoben; die VU wünschte keinen ständig amtierenden Regierungsrat - der Bürgerpartei - mehr." Im Landtag vom 20. Juli 1945 wählte der Landtag zu Regierungsräten nochmals die bisheri- gen Pfarrer Frommelt und Johann Georg Hasler, ihnen damit das Vertrauen ausdrückend. Doch in der selben Sitzung des Landtages erklärte dann die Gesamtregierung den Rücktritt.100 Warum? Regierungschef Hoop hatte den deutschen Stell- vertretenden NSDAP-Kreisleiter Hermann Sieger, der im Krieg sein Verbindungsmann nach Deutsch- land gewesen war, im Lande aufgenommen und gegen den Willen des Fürsten im Lande belassen. Als der Fürst dies durch einen Verwandten erfuhr, stellte er Hoop zur Rede, dieser bot den Rücktritt an.101 Eigentlich war aber die Sieger-Episode nur mehr Anlass, nicht wirklich Ursache für Hoops Ab- gang schnell nach Kriegsende. Seit 1944 stand Hoop nämlich wegen der Konfrontation in der Ber- ner Gesandtschaftsfrage zum Fürsten in einem ge- spannten Verhältnis.102 Die Sieger-Episode brachte es zum Kippen. Dem Fürsten erschien Hoops Ver- halten als Untreue. Franz Josef schätzte zwar Hoops Verdienste als Kriegspremier sehr hoch, sagte später sogar einmal, Hoop habe das Land ge- rettet. Aber der Fürst wünschte für die Nachkriegs- zeit eine neue Regierungsmannschaft. Der Fürst wollte weder den wendigen Dr. Hoop noch den deutsch-freundlichen Dr. Vogt mehr. Keine Figuren der Kriegsregierung sollten das Verhältnis zu den Siegern, den Alliierten, belasten. Die ganze Mann- schaft wurde erneuert. In der Bürgerpartei führte der Abgang Hoops - faktisch seine Entlassung - zu heftigem inneren Aufbegehren und zu Unmut auch gegenüber dem Fürsten.103 Am 3. September nominierte der Landtag den Steuerkommissär und Pfadfinderführer Alexander Frick von der Bürgerpartei (FBP) als Regierungs- chef und den erfahrenen, langjährigen Regierungs-sekretär 
Ferdinand Nigg von der Union (VU) als Regierungschef-Stellvertreter, der Fürst bestätigte sie; zugleich wählte der Landtag Franz Hoop von Ruggell (FBP) und Alois Wille von Balzers (VU) zu Regierungsräten, dazu Rudolf Marxer, Mauren (FBP), und Alexander Sele, Triesenberg (VU), zu Stellvertretenden Regierungsräten. Die zwei Regie- rungsräte und deren Stellvertreter sassen alle auch im Landtag, teils als Ersatzabgeordnete.104 Neue Männer, in Regierung wie Landtag, nahmen die Nachkriegszeit in Angriff. Die Abgetretenen moch- ten sich trösten: In England war Churchill abge- wählt worden. Wie ging es im Frieden weiter? Einige kurze Schlaglichter seien noch geworfen. Im Juni 1945 überschritten vereinzelt franzö- sische Besatzungssoldaten die liechtensteinische Alpengrenze und brachen, teils per Schusswaffe, in die Gafadura-, die Garselli- und die Pfälzerhütte ein. Sie griffen zwei auf Gafadura versteckte SS-Leute auf, verhafteten ein andermal auch einen Liechtensteiner Hilfspolizisten.105 Die im Lande wohnenden Wieder-Österreicher erhielten Ersatz- pässe.106 Die Russenfrage füllte das Jahr. Hierbei sind drei Phasen der liechtensteinischen Russenpolitik zu unterscheiden: Die erste Phase reichte vom Eintritt der Holmston-Truppe Anfang Mai bis Anfang Au- gust 1945; die liechtensteinische Devise von Regie- rung, Landtag und Fürst lautete: die Russen mög- lichst schnell abschieben. Über 200 gingen in die- ser Phase freiwillig in französischen Gewahrsam nach Vorarlberg, von wo sie weitergeleitet wurden, Richtung Sowjetunion. Die zweite Phase beschlägt den Monat August 1945: In dieser Phase kam die sowjetische Repatriierungskommission ins Land. Die liechtensteinische Regierung kooperierte vor- erst eng mit der Sowjetkommission und übte er- heblichen Druck auf die Russen, freiwillig der Kom- mission nach Russland zu folgen. Mit ihr kehrten 104 weitere Russen freiwillig heim, darunter eine Frau. Erst in der dritten Phase, die Ende August und Anfang September 1945 einsetzte - noch rund 140 Internierte waren da -, als der verzweifelte Widerstand der verbliebenen Russen sowie Prote- 70
	        

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