Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

geübte Toleranz habe er «stets für eine Selbstver- ständlichkeit und als ein Gebot der Menschlichkeit angesehen».74 Am 8. Mai brachte das Liechtensteiner Volks- blatt neben der Kapitulationsmeldung auch Zitate aus dem liechtensteinischen Kampfblatt «Der Um- bruch» der «Volksdeutschen Bewegung in Liech- tenstein». Der nationalsozialistische «Umbruch» war ab 1940 von Ing. Martin Hilti, Dr. Sepp Ritter und Dr. Hermann Walser herausgegeben und im Sommer 1943 verboten worden.75 Das Liechten- steiner Volksblatt wies nun am 8. Mai darauf hin, was aus jenen verblendeten Aussagen geworden war. Der Leitartikel schloss: «Rächer wollen wir nicht sein, aber Mahner».76 Ebenfalls am 8. Mai, die Friedensglocken waren kaum verklungen, krachten nach dem Eindunkeln Böller der Abrechnung. Abends um viertel vor zehn zerriss in Mauren eine Sprengladung eine Tür, be- schädigte ein Vordach und zertrümmerte 17 Fen- sterscheiben. Eine Stunde später, gegen elf, verwü- steten in Nendeln zwei vor eine Haustür gelegte Ladungen Scheiben, Tür und Korridor, die Gang- decke stürzte ein. Und 20 Minuten danach explo- dierte, wieder im Zentrum von Mauren, ein Papier- böller, der bei zwei Lläusern Scheiben in Brüche gehen liess. Die Anschlagserie richtete sich gegen NS-Anhänger. Polizeiliche Ermittlungen wurden nach einigen Monaten ergebnislos eingestellt.77 Am 9. Mai sandte Fürst Franz Josef Glück- wunschtelegramme zum Sieg an Präsident Tru- man, an den britischen König Georg VI. - nicht an Churchill - und an General De Gaulle. Stalin erhielt kein fürstliches Telegramm. Die drei Beehrten dankten.78 Die Regierung ordnete am 9. Mai Haussuchun- gen und Aktenbeschlagnahme bei allen Funktio- nären der Auslandorganisation der NSDAP im Lan- de an. Die von 1933 an bestehende und geduldete NSDAP der Deutschen im Lande hatte starken Druck auf die Deutschen und ehemaligen Österrei- cher geübt, nun wurde sie verboten. Ein deutscher NSDAP-Mann im Lande erklärte im Sommer 1945 sein aktives Mittun so: Er sei der Propaganda er- legen, politisch unerfahren gewesen, habe von den 
Greueltaten nichts gewusst, hätte sie auch nicht ge- glaubt. Aber jetzt sei er durch Schaden klug gewor- den und wolle sich nie mehr um Politik kümmern.79 In Bern sprach am 9. Mai Geschäftsträger Prinz Heinrich im Auftrag der Regierung wie schon eini- ge Tage zuvor wegen der Russen vor: Die liechten- steinische Regierung hatte die Schweiz ersucht, die Holmston-Russen abzunehmen oder ihren Transit nach Oberitalien zu gestatten, damit man sie dort den Amerikanern übergeben könne. Die Schweiz schlug eine Übernahme ab; über einen Transit müsste man mit den Alliierten verhandeln. Prinz Heinrich drängte, Liechtenstein könne die Russen unmöglich länger als noch eine Woche behalten.80 Am 10. Mai, zwei Tage nach der Kapitulation, war Auffahrt. Nach Amt und Prozession wurde in Schaan auf dem Lindenplatz bereits die Grenz- wachtverstärkung mit Musik, Fahnen und Dankes- ansprache des Regierungschefs verabschiedet. Sie war 
2 Vi Wochen hier eingesetzt gewesen. Die 15 Of- fiziere erhielten von der Regierung ein Etui mit 10- und 20-Franken-Goldstücken und ein Erinnerungs- blatt mit den Unterschriften des Fürstenpaares und Dr. Hoops, den Rekruten schenkte man ein Foto- album.81 Noch während man auf dem Lindenplatz die fürstliche und die eidgenössische Landeshymne sang, traf der französische General de Hesdin als Vertreter der neuen Nachbarmacht in Vorarlberg auf dem Platz ein, seinerseits von Regierungschef Hoop begrüsst. Das Zusammentreffen war symbol- kräftig: Liechtenstein hatte der Schweiz wie den alliierten Mächten zu danken. Die Schweiz hatte Liechtenstein in einer Nische neutral mit durch den Krieg getragen. Die alliierten Soldaten hatten mil- lionenfach ihr Leben eingesetzt, auch für Liechten- steins Überleben und Freiheit. Der französische General mit Begleitung und die liechtensteinische Regierung fuhren noch zum Fürsten auf Schloss Vaduz, danach nach Buchs zur dortigen Begrüs- sung.82 Auf den 12. Mai berief der Fürst bereits den neuen Landtag ein. Er hielt eine kurze Thronrede: Liechtenstein sei als eines von wenigen Ländern verschont geblieben. Die Weltherrschaftsaspiratio- 66
	        

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