Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

«AM RANDE DER BRANDUNG» PETER GEIGER Am 2. Mai fiel Schnee in die Maienblüte.60 An diesem Tag hörte man den Donner französischer Geschütze bei Götzis. Würden deutsche Truppen und SS, die im oberen Vorarlberg standen, versu- chen, kämpfend nach Liechtenstein auszuwei- chen?61 Wie schon im Mai 1940, zu Beginn des Frankreichfeldzuges, als der deutsche Einmarsch befürchtet wurde, beschloss die liechtensteinische Regierung am 2. Mai 1945 Weisungen für den Fall von ins Land übergreifenden Kriegshandlungen; das Blatt wurde am andern Morgen angeschlagen und in alle Haushaltungen verteilt: Sturmläuten würde die Evakuierung ankündigen, die Bewohner hätten sich samt Vieh und Nahrung für einige Tage in die Wälder zu flüchten, Felder wären zu meiden, Häuser mit weissen Tüchern als übergabebereit zu kennzeichnen, um sie vor Brandschatzung zu be- wahren, jeder Widerstand wäre zu unterlassen.62 Am 2. Mai kam auch noch ein deutscher General aus Feldkirch ins schweizerisch-liechtensteinische Zollhaus in Schaanwald: Er wollte über die Verle- gung der Lazarett-Verwundeten aus Feldkirch nach Liechtenstein verhandeln.63 Noch etwas Besonderes wurde für den schlim- meren Fall vorgekehrt: Auch am 2. Mai traf in Buchs insgeheim Regierungschef Hoop mit einem französischen Offizier aus dem Stab von General Bethouard und einem schweizerischen Oberst zu- sammen. Der letztere war im schweizerisch-fran- zösischen Einvernehmen beim Vormarsch der Franzosen von Basel bis ins Vorarlbergische dabei, jenen den Grenzverlauf erklärend. Regierungschef Hoop besprach sich mit ihnen und übergab darauf ein Schreiben für den französischen Kommandan- ten Bethouard, mit folgendem Inhalt: Die liechten- steinische Regierung und Fürst Franz Josef freuen sich über die baldige Beendigung des Krieges, be- grüssen den General und seine Truppen und ersu- chen sie gleichzeitig, das liechtensteinische Terri- torium zu respektieren. Falls deutsche Truppen bewaffnet nach Liechtenstein eindringen sollten, werde die liechtensteinische Grenzpolizei sie ent- waffnen und der Schweiz zur Internierung über- geben. Sollten allerdings eingedrungene deutsche Truppen ihre Waffen nicht niederlegen, so ersucht 
die liechtensteinische Regierung mit diesem Schreiben General Bethouard ausdrücklich, «den militärischen Schutz» des Fürstentums zu über- nehmen und «das Land von feindlichen Streitkräf- ten zu säubern». Von den Franzosen in Liechten- stein aufgegriffene und entwaffnete Wehrmacht- Truppen würde die liechtensteinische Regierung als Kriegsgefangene Frankreichs betrachten und überlassen. Die liechtensteinische Regierung bittet schliesslich General Bethouard, seine Truppen an- zuweisen, nach dem Ende der Feindseligkeiten das Gebiet des Fürstentums zu verlassen und den Sta- tus quo wiederherzustellen.64 Die Franzosen hatten eine solche Erklärung gewünscht, damit sie deut- sche Truppen nach Liechtenstein hinein verfolgen und das Land danach gleich wieder verlassen 51) «Die Jugend», Nr. 3. März 1945. zit. nach: 50 Jahre Pfadfinder in Liechtenstein 1931-1981. Fotos. Originaltexte und Dokumente. Redigiert von Astrid Beck, Peter Beck et al. Vaduz 1981. S. 61 f. 52) LVolksblatt, 26. und 28. April 1945. 53) LVaterland und LVolksblatt im April 1945. 54) Vgl. Paul Vogt: 125 Jahre Landtag. Vaduz 1987, S. 210 f., 178. 181. 55) LVolksblatt, 21. April 1945. 56) LVolksblatt. 3. Mai 1945. 57) l'eter Geiger: Mit Hitler gegen Stalin. Holmston-Smyslowskys Russische Nationalarmoe in Liechtenstein: Geschichte, Hintergrün- de, Mythos. In: Peter Geiger/Manfred Schlapp: Russen in Liechten- stein. Flucht und Internierung der Wehrmacht-Armee Holmstons 1945-1948. Vaduz, Zürich 1996, S. 7-228, hier S. 21. 58) LVolksblatt, 5. Mai 1945. 59) LLA RF 230/328. 60) LVolksblatt, 3. Mai 1945. 61) Vgl. Erwin Fitz: Der militärische Aspekt des Kriegsendes 1945 am Bodensee. In: Endlich Friede (siehe oben Anm. 32), S. 1-12, hier S. 6. 62) Aufruf vom 3. Mai 1945, LLA Fotosammlung; publiziert in: Allgäuer/Jansen/Ospelt (s. oben Anm. 26), S. 115; ebenso bei Peter Geiger: Liechtenstein bei Kriegsende 1945. In: Endlich Friede (s. oben Anm. 32), S. 61. 63) LVolksblatt, 5. Mai 1945. 64) Schreiben der liechtensteinischen Regierung an den Komman- danten des 1. Französischen Armeekorps, 2. Mai 1945, Kopie, mit Original-Unterschrift von Regierungschef Hoop, BA Bern E 2001 (E), 1969/262, Sch. 12. 63
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.