Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

DER WEG DER LIECHTENSTEIN-GALERIE VON WIEN NACH VADUZ / GUSTAV WILHELM war Prinz Karl Alfred von Liechtenstein in Berlin beim Innenministerium, wo man ihm mitteilte, dass unser Ansuchen abgelehnt worden sei. Parallel mit diesen zeitraubenden und schliess- lich völlig negativen Unternehmungen ging die Ber- gung weiter. Am 28. Juli führte ich einen beträcht- lichen Teil des Herrschaftsarchives nach der Veste Liechtenstein bei Mödling, es handelte sich um 611 Kartons (die alle verloren gehen sollten). Mich be- schäftigte nun, da ich den Transport nach Liech- tenstein nicht ausfahren konnte, ein neues grosses Depot im Westen ausfindig zu machen. Ende Au- gust schlug ich dem Fürsten das Schloss Moosham der Grafen Wilczek im Salzburgischen Lungau vor, ich sprach auch deswegen mit dem wilczekischen Sekretär Michelfeit und fuhr am 4. September nach Moosham, um das Schloss anzusehen. Es waren wunderschöne Herbsttage, die mich darüber hin- wegtäuschten, welches Gesicht diese Gegend im Winter haben sollte. Die Burg von Graf Wilczek, re- stauriert in demselben Geschmack wie seine Burg Kreuzenstein bei Wien51, wenn auch nicht mit so viel Geldaufwand, so doch nicht minder fest ge- baut, liegt ungemein günstig, isoliert von allen kriegswichtigen Anlagen. Auch ist der Tauernpass so weit weg, dass er wohl keine Gefährdung für die Burg darstellt. Die Zufahrt von der Bahnstation Mauterndorf verläuft grösstenteils auf der breiten Reichsstrasse, die dann auf ein allerdings schmales Waldsträsschen rundet, dessen Unterbau weich ist. Die Zufahrt von Mauterndorf bis zur Burg ist rund vier Kilometer. Mit dem Mauterndorfer Spediteur Steinlechner konnte ich noch alle Details der Zu- führung absprechen. Nach Wien zurückgekehrt be- sprach ich mit den Besitzern alles Notwendige und erhielt die Zustimmung, die Burg als Depot einzu- richten. Als erstes sollte das Inventar des Schlosses Sternberg (Mähren) nach Moosham gebracht wer- den. Anfang August fuhr ich dorthin und stellte die Bergungsliste zusammen, die allerdings ziemlich umfangreich ausfiel. Bei dieser Gelegenheit war ich auch in Gross-Ullersdorf, Neuschloss, Olmütz52 und in Butschowitz [alles Orte in Tschechien], wo ich alles zu bergende Inventar bestimmte. Alle diese 
nordmährischen Bergungen scheiterten aber schliesslich daran, dass sich die Gutsverwaltungen keinerlei Waggons verschaffen konnten für den Ab- transport und ich alles erreichbare Wagenmaterial für die Evakuierung meiner niederösterreichischen und südmährischen Depots brauchte. In Wien er- klärte sich die Spedition Gebrüder Weiss bereit, die nordmährischen Schlösser zu evakuieren, konnten aber dann diese Zusage nicht mehr einhalten. Die Knappheit des rollenden Materials und die Gefähr- dung der Transporte durch Fliegerangriffe - die viel grösser war als jene der Strassentransporte - hatte mich veranlasst, in Vaduz anzufragen, ob man mir von dort etwas Benzin zur Verfügung stellen könnte. Das erwies sich leider als nicht möglich. Ende August verpackte ich mit meinen Mitarbei- tern in Sternberg, Feldsberg und Eisgrub Bilder und Tapisserien, welche der Fürst wieder in sei- nem Auto nach Vaduz mitnahm. So wuchs langsam das Depot in Vaduz und ich hoffte nur, dass diese Transaktionen nicht eines Tages aufkämen. Auch aus Gaming liess ich noch die restlichen dort ver- wahrten Tapisserien kommen, um sie nach Vaduz weiterzuleiten. In Wien verpackten wir diese Sa- chen in kleine Handkoffer oder machten Pakete, die im Gepäckträger des fürstlichen Autos verstaut werden konnten. Inzwischen hat sich in Vaduz eine neue Situation ergeben, von deren Entwicklung ich nichts wusste und die in der Folgezeit meine Bergungspläne nach Moosham weitgehend beeinflussen sollte. Der 51) Castcllani (1993), Band II, S. 5-30. Die Ruine Kreuzenstein bei Wien wurde nach dem Vorbild der Burg von Eisenmarkt (Hunedoa- ra) in Siebenbürgen - die ebenfalls (nach einem Brand 1854) wie- deraufgebaut worden war - von 1874 bis 1912 in historisierenden Formen wiedererrichtet: Es entstand eine «völlig anachronistische, aber grandiose Inszenierung mittelalterlicher Ritterideale des altadligen und reichen Sammlers Hans Graf Wilczek an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, [ein] Querschnitt durch alle Stile und Formen mittelalterlicher Bau- und Einrichtungskultur. Die Gestal- tung und Ausstattung war von einer derartigen Fülle, dass jede <echte> Burg bei weitem übertroffen wurde» (ebenda, S. 30). - Dass Gustav Wilhelm diese Restaurierung eigens hervorhebt, belegt wiederum sein kunst- und architekturgeschichtliches Interesse. 52) Heute amtlich: Olomouc: vgl. Ortsnamenliste am Schluss. 23
	        

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