Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

DIE MUNDART DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN ROMAN BANZER 4. Lautwandel und Lautvariation 4.1. THEORETISCHE VORBEMERKUNGEN Die Begriffe Lautwandel und Lautvariation be- schreiben ein grosses Feld an Untersuchungsmög- lichkeiten. Es folgen daher vorweg zur Einschrän- kung und Zielsetzung dieses Teils der Arbeit defini- torische Überlegungen. Die Sprache allgemein und damit auch die Varietäten oder Dialekte sind hete- rogen, d.h. sie sind Veränderungen unterworfen und Teile davon variieren in Abhängigkeit von so- zialen Faktoren. Die Sprache ist kein homogenes und unabänderliches und auch kein kategorisch- präskriptives System. Kommunikation beinhaltet, in Abhängigkeit von extralinguistischen Faktoren, linguistische Variation und Lautwandel, weil unter- schiedliche Menschen in unterschiedlichen Sprech- situationen unterschiedlich sprechen.90 «Ferdi- nand de Saussure (1916) hat bestimmte Unregel- mässigkeiten) als für das Sprachsystem irrelevante Elemente der Ebene der <parole> zugeschlagen. Da- mit werden diese Phänomene aus dem primären Interessengebiet der Linguistik weggerückt, oder vielmehr: sie können vernachlässigt werden. Ob überhaupt von einem homogenen Sprachsystem ausgegangen werden kann, und wie eine solche Gruppe mit homogenem Sprachgebrauch allenfalls aussieht, ist im Laufe der Wissenschaftsgeschichte der Dialektologie und der modernen Varietäteniin- guistik unterschiedlich beantwortet worden» (Chri- sten 1988, S. 37). Die Begriffe des Lautwandels und der Lautvaria- tion sind heute in der Mundartforschung allgemein anerkannt, und bedeutende Strömungen moderner Linguistik basieren auf der Annahme, dass sich die Sprachen dauernd ändern und in Abhängigkeit von verschiedenen situativen und sozialen Faktoren variieren. Ausschliesslich diachrone oder syn- chrone Untersuchungen treten in den Hintergrund und werden immer mehr von einer dynamischen Sprachtheorie abgelöst, die versucht, «sowohl das funktionieren) wie das <Sich-verändern> als von einander abhängige und somit miteinander zu ver- einbarende <Fähigkeiten> von Sprachen (zu) be- schreiben und beide auf die gleichen Voraussetzun-gen 
zurück(zu)führen» (Haas 1978, S. 2). Homo- gene Sprachsysteme und Erklärungsversuche der Variation durch koexistierende Systeme wurden als nicht haltbar verworfen.91 Die Varietätengrammatik ist der Versuch, den Anforderungen der dynamischen Sprachtheorie gerecht zu werden. «Die korrelative Soziolinguistik befasst sich ... mit Variation. Sie untersucht also auf den genannten sprachlichen Teilgebieten Er- scheinungen, die innerhalb der Realisierungen eines Sprachsystems variabel sind, was genau ge- nommen heisst, dass ein und dieselbe Person die Varianten der Variablen nebeneinander verwendet. Korrelieren heisst dann, die Verschiebungen in der Verwendung dieser Varianten feststellen, die mit einer Reihe von pragmatischen Faktoren überein- stimmen. Genau genommen liegt also keine Varia- tion vor, wenn innerhalb einer Gesellschaft in einer bestimmten Teilgruppe eine sprachliche Erschei- nung und in einer anderen Teilgruppe eine entspre- chende andere jeweils kategorisch angetroffen wird» (Goossens 1986, S. 257). In Übereinstimmung mit der generellen Einschränkung der Untersu- chungsausrichtung dieser Arbeit auf die lautliche Ebene, müssen die Fragen auf den Lautwandel und die Lautvariation, deren Vorkommen in den Liech- tensteinischen Ortsmundarten, deren geographi- sche Distribution und deren Korrelation mit sozia- len und situativen Faktoren ausgerichtet sein. 4.1.1. ENTWICKLUNGSREGEL Wir stellen fest, dass die Sprachlautungen der Orts- mundarten des Fürstentums Liechtenstein schwan- ken. Je nach Sprechsituation und linguistischer Kondition kann sich die Realisation eines Lautes in den Ortsmundarten von jener in der Basismundart unterscheiden, d.h. dass nicht alle Laute der Orts- mundarten gleich wie in der Basismundart reali- siert werden. In den Ortsmundarten gibt es variie- rende Laute. Wir untersuchen die Schwankungen der Laute und eruieren, welche Laute der Orts- mundarten in welcher Form nicht der Basismund- 207
	        

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